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Amerikas Selbstporträt

Er ist die Verkörperung amerikanischer Tugenden: ein Einzelgänger, ein Held, ein Romantiker. Überlegungen zum 50. Todestag von Humphrey Bogart

VON EGBERT HÖRMANN

Er ist so monumental und so absolut er selbst, dass er sich in gewisser Weise verdoppelt, sich durch Deckungsgleichheit und Image zur feierlichen Unpersönlichkeit seiner selbst vereint.

Maurice Blanchot

Zigarette. Trenchcoat. Höhnisches Lächeln. Revolver. Hart. Bacall. Romantisch. Lispeln. Alkohol. Knurren. Sam. Sexy. Cool. Tot. Dan Carlinsky

Selbst derart reduzierte Charakterisierungen lassen das markante Bild jener Kultfigur erstehen. Die idealtypische Repräsentation des Hemingway’schen Bonmots „Grace under pressure“. An ikonografischer Präsenz können als Stars wohl nur James Dean, Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Marlene Dietrich mit Humphrey Bogart konkurrieren.

Das Geheimnis des „Bogartian man“? Er ist einer der intimsten Mythen unserer Sehnsüchte und Möglichkeiten. Es ist seine vielschichtige Ambiguität, die ihn immer wieder zur Identifikationsfigur macht. Er ist tough, gefühlvoll und idealistisch. Er ist die Inkarnation von Coolness, und er besitzt die Fähigkeit, sich richtig zu verhalten und dabei seine Identität zu bewahren.

Die Modernität seines Erscheinungsbildes, sein kühl-ironischer Bezug zur Welt und seine klassische, im Grunde puritanische Moral machen seine anhaltende Faszination aus.

Bogart ist Held und Antiheld zugleich. Er erinnert uns daran, dass das Leben eine Feuerprobe ist. Folgen wir ihm also im rhythmischen Takt der Akkorde von Max Steiner, wie er von Film zu Film in der Länge und Breite den Gerichtshof des Lebens durchquert, die Daumen in den durch einen einfachen Cowboygürtel zusammengehaltenen Hosen geschoben, gesetzlos oder das Gesetz vertretend, arm oder reich, weich oder hartgesotten, respektabel oder im Zwielicht lebend – immer finden wir den essenziellen Bogart, der etwas neben seiner Figur steht, damit sie sich Echos zuwerfen können. So ersteht eine von Lichtreflexionen gesättigte Aura, die Persönlichkeit und Rolle in einer Art und Weise verbindet, die bei uns bleibt, wenn wir die Kinohöhle verlassen, um durch den Bogart’schen Filter für eine Weile unsere eigenen Lichter auf die Welt zu richten.

Sobald er im Film auftaucht (seine Domäne ist die Nahaufnahme und die beredte Halbtotale), wissen wir, dass dies ein Mann ist, der schreckliche Kämpfe und bittere Siege hinter sich hat, aber mit Gewissheit wieder auch dieses Mal für uns überleben wird, ob er nun ein psychopathischer Autor, ein alkoholischer Skipper, ein inkompetenter Marinekapitän, ein ausgebrannter Filmregisseur oder ein erfolgloser Journalist ist.

Der Bogart’sche Mensch ist nicht nur durch seine Kaltblütigkeit definiert, sondern durch eine existenzielle Reife, die das Leben nach und nach in eine hartnäckige Ironie auf Kosten des Todes verwandelt. Und immer übernimmt am Ende dieser maskierte Egoist und verhinderte Romantiker die Verantwortung, der er sich zunächst entziehen wollte, um eine gute Sache zum Sieg zu führen. In „Casablanca“ verzichtet der ehemalige Kämpfer aus dem Spanischen Bürgerkrieg auf Ingrid Bergman zugunsten ihrer politischen Aufgabe, in „Key Largo“ wandelt er sich vom Desillusionierten zum Patrioten, und in „African Queen“ lässt er sich als fluchender Trinker von einer sittenstrengen Missionarin überzeugen, ein deutsches Kriegsschiff in die Luft zu jagen.

So war er auch eine Verkörperung bestimmter amerikanischer Tugenden und stand in einer langen Reihe traditioneller Heldenfiguren. Er ist Amerikas Wunschbild von sich selbst: ein ewig adoleszenter Träumer, ein Einzelgänger, für den das Handeln, die Tat, den Prüfstein seiner moralischen Bewahrung bildet.

Eigentlich sieht er immer etwas aus wie ein durchaus fröhlicher Kadaver, eine tote Seele, die in einer ihrer vielen Lieblingsbars auf ihre Erlösung wartet. Immer scheint er von dramatischen Schatten wie von einem Doppelgänger umgeben zu sein. Sein Gesicht zeigt, dass er ein Mann mit einer Vergangenheit ist, und es wird häufig in jenen dunklen, changierenden Abtönungen fotografiert, einem dem Film Noir eigenen „Chiaroscuro“, das noch durch die endlosen Rauchschleier der Zigaretten verstärkt wird, die Bogart so kunstvoll und virtuos raucht wie nur noch Marlene Dietrich. Immer wieder hüllt uns dieser sich träg-lasziv, philosophisch nach oben schlängelnde blaue Dunst ein und die tatsächliche Leere des Rauchens, von der Sartre spricht, und dessen Offenheit für alles außer dem Nichts, das es selbst darstellt.

Dieses zur Ikone gewordene Gesicht ist gekennzeichnet von einer fundamentalen Abwesenheit von Fröhlichkeit, ein unverkennbar amerikanisches Gesicht, das wie die Porträts der Wesen in Richard Avedons „In the American West“ aussieht. Seine Züge sind geronnene Erfahrung, das von den Erosionen des Alterungsvorgangs gezeichnete Antlitz eines Mittvierzigers. Es reflektiert innere Zustände, und so kann man ihm wunderbarerweise tatsächlich beim Denken zusehen. Louise Brooks beschreibt einen dieser unvergleichlichen Augenblicke: „Meine lebhafteste Erinnerung an den Humphrey Bogart der Leinwand ist eine Szene aus John Hustons ‚Der Schatz der Sierra Madre‘: „Er liegt am Boden und versucht, sich zum Wasserloch zu schleppen. Alles hat er ertragen, um sein Gold zu bekommen – und nun muss er es aufgeben? Weit aufgerissen, richten sich die tragischen Augen mit einem entsetzlich flehendem Blick gen Himmel. In der Agonie dieses schönen Antlitzes sehe ich meinen Heiligen Bogart.“

Der bewegende, fortwährende Sieg des Bogart’schen Menschen? Wieder zeigt sich die große Schauspielkunst Bogarts, die so rein ist, dass sie fast unsichtbar scheint. Siegfried Kracauer stellt in der „Theorie des Films“ sogar die Frage, ob Bogart überhaupt ein schauspielerisches Talent hat! „Humphrey Bogart mochte einen Matrosen, einen Privatdetektiv oder den Besitzer eines Nachtklubs spielen, er war in allen seinen Verkörperungen stets unverkennbar Humphrey Bogart.“

Kracauer übersieht, dass Bogarts unzählige Auftritte zu einem kompakten Mythos gerinnen konnten, weil sie sich schließlich zu einem Bild zusammensetzten. Andere betrachteten das Phänomen Bogart nun wieder verblüffend anders: „In seinen Filmen hat Bogart gerade darum keine überzeugenden Einzelmomente, weil er stattdessen die Verlässlichkeit eines stetig geführten Lebens zeigt“ (Urs Widmer). Der mit einer überkandidelten Wundheit der Sinne geschlagene Peter Handke war 1975 immerhin noch im Bann der „so beunruhigend feuchten Unterlippe“. Interessanter ist da dann schon die Frage, ob Bogart nicht eigentlich der geistige Vater von Camus und seiner Philosophie war (jedenfalls outete Camus sich häufig als Fan des Hollywood-Stars).

Ich selbst denke besonders gern an den Beginn von Howard Hawks’ „Der große Schlaf“. Marlowe betritt zum ersten Mal Geigers Haus und entdeckt, dass Geiger tot ist und Carmen unter dem Einfluss von Drogen steht. Der Blick Bogarts wandert von der Leiche zu der bedröhnten Frau: In diesem flüchtigen und klaren Blick ist das Prinzip Marlowe vollkommen aufbewahrt, und in diesem Augenblick öffnet sich uns dieser Charakter wie von einer Explosion gesprengt, da es dem Schauspieler gelungen ist, das innere Bild der von ihm dargestellten Figur zu erwecken und einer Idee, die im Geist gefangen war, Leben zu geben.

In Bogarts Welterfahrung stehen Dynamik und Apathie seltsam schwebend im Gleichgewicht. Es ist kein Zufall, dass er seine erste große Rolle in einem Film hatte, dessen Titel das Wort „versteinert“ enthielt, oder dass unsere Erinnerung an seine bedeutendsten Filme (bei immerhin 75 Filmen sind dies mehr als ein gutes Dutzend) zu folgendem Bild einfriert: Mit einer fatalistischen Schönheit versehen, dunkel und stoisch, von einer fundamentalen Lethargie trotz seiner bewegten Wendigkeit sehen wir ihn irgendwo sitzen, intelligent und ironisch, während um ihn herum die Welt zusammenbricht.

Er billigt sich die Melancholie der Stagnation zu. Seine überaus psychische Präsenz hat etwas vom Geworfensein des existenzialistischen Menschen; ein Opfer allein schon durch den menschlichen Zustand und die Mechanismen des Weltgetriebes – aber ein Opfer, dessen unterkühlte Ironie daran erinnert, dass sogar im Scheitern die Möglichkeit selbstkritischer Würde und Ehre besteht. Er ist das Individuum, das im Konflikt mit der Gesellschaft auf seiner Subjektivität besteht – auch hier greift Identifikation. Wie ein Kritiker bemerkte, ist er nicht nur der Chaplin des Tonfilms, sondern auch dessen Dostojewski: Er unterscheidet sich von Stars seiner Zeit auch dadurch, dass er Furcht zeigen kann, und diese Furcht ist das Organ seiner Wahrnehmung einer düsteren Welt.

Die Oberlippenvernarbung/-lähmung Bogarts und das daraus stilisierte leichte Lispeln, die Schnarrlaute und Schleifer lassen ihn quasi „in tormentis“ sprechen, was seine Sprache zu einer Metapher für die Ungewissheit des Gesagten, die Inadäquatheit alles Gesprochenen macht. Diese Lähmung ist aber auch ein Zeichen für die allgegenwärtige Präsenz des Todes. So wie in der amerikanischen Kultur Tod und männliche Schönheit immer verbunden werden, von männlicher Schönheit nur gesprochen werden darf, wenn auch vom Tod die Rede ist, so erhöht sich die ganz eigentümliche Schönheit Bogarts umso mehr, da der Tod bereits anspruchhaft Besitz von ihm ergriffen hat.

Aber Bogart hatte noch eine letzte Rolle zu spielen: die des sterbenden Stars. Als 1956 der Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, weigerte er sich, „damit umzugehen“. Nicht ein einziges Mal in den langen Monaten des Kampfes erwähnte er, dass seine Krankheit mehr war als etwa Vorübergehendes, obgleich er kaum in der Lage war, Speisen zu sich zu nehmen. Er wusste von seinem Zustand, aber vielleicht lässt sich sagen, dass er ihn auf eine ihm eigene, komplexe Art negierte. Derart über den eigenen Tod zu bestimmen, war eine stolze, freie und kaltblütige Entscheidung, ganz im Sinn der antiken Philosophen, nämlich den (Über-)Lebenden ein Beispiel zu sein.

John Huston hat uns aus diesen Tagen ein unvergessliches Porträt Bogarts hinterlassen. Es war die Angewohnheit einiger Freunde, am Ende des Tages bei Bogart vorbeizukommen. Bogart wurde in seinem Schlafzimmer im ersten Stock rasiert, in graues Flanell und eine rote Hausjacke gekleidet und dann zu einem Lift gebracht, der ihn ins Erdgeschoss führte. Dann wurde er in einen Rollstuhl gesetzt und in sein Lieblingszimmer gebracht, wo er mit einem Drink und einer Zigarette seine Gäste unterhielt, von denen jeder etwa eine halbe Stunde blieb. Gegen acht Uhr, nachdem er sie verabschiedet hatte, wurde er wieder in sein Schlafzimmer verfrachtet.

Am 14. Januar 1957 starb Humphrey Bogart. Huston sagte während seiner Gedenkrede, niemand werde die letzten Abende mit Bogart vergessen. „Es war ein Schauspiel reinsten kreatürlichen Mutes. Nach dem ersten Schock wurde man beseelt von der Größe dieses Anblicks und seltsam gestärkt, stolz darauf, der Freund eines so tapferen Menschen zu sein.“

EGBERT HÖRMANN, Jahrgang 1956, ist Filmkritiker und Übersetzer. Er lebt in Berlin und St. Petersburg

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