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Archiv-Artikel

Mitten in Deutschland

In Hannover werden das Sprengel-Museum, die Kestnergesellschaft und der Kunstverein gemeinsam die Ausstellung „Made in Germany“ auf die Beine stellen. Die Schau findet fast zeitgleich zur documenta in Kassel statt mit der Hoffnung, auch einige internationale Besucher nach Hannover zu ziehen

„Was in Deutschland an Kunst produziert wird, ist international“

VON KLAUS IRLER

Manchmal ist so ein Mauerblümchen-Image gar nicht schlecht. Hannover zum Beispiel: Nie würde man dort auf die Idee kommen, sich vor lauter Begeisterung über den eigenen Sexappeal den Blick über die Stadtmauern zu sparen. Das war bei der Fußball-Weltmeisterschaft so, als die Hannoveraner nach Berlin und Hamburg lugten, um dort Übernachtungsgäste abzuwerben. Die Lage in der Mitte Deutschlands und die bestens ausgebaute Verkehrsanbindung sollten es möglich machen.

Nun steht dieses Jahr wieder ein internationales Großereignis an, nicht ganz von der globalen Bedeutung der WM, aber immerhin. In Kassel zeigt vom 16. Juni bis zum 23. September die documenta wieder zeitgenössische Kunst. Nur alle fünf Jahre findet die Megaausstellung statt und gilt neben der Biennale in Venedig als weltweit bedeutendste Schau ihrer Art. Für Kassel ist die documenta mit ihren Besucherströmen Gold wert. Und in Hannover hat man gemerkt, dass Kassel erstens nur eine gute Zugstunde entfernt liegt und zweitens etliche Besucher sowieso über Hannover kommen – zum Beispiel vom Hamburger Flughafen aus.

Also, haben sich das hannoversche Sprengel-Museum, der Kunstverein Hannover und die Kestnergesellschaft gedacht, ist die documenta die Gelegenheit, auch an der Leine mit einer zeitgenössischen Kunstschau im großen Stil aufzuwarten. Gemeinsam wuppen die drei Häuser für moderne bis aktuelle Kunst nun die Ausstellung „Made in Germany“. Diese wird vom 25. Mai bis zum 26. August präsentiert und sich damit bewusst mit der documenta überschneiden. Gezeigt werden in den drei Häusern mehr als 50 zeitgenössische Künstler, die nur eines verbindet: Sie arbeiten allesamt in Deutschland.

Als Konkurrenz zur documenta versteht sich „Made in Germany“ allerdings nicht. Aber auf einen Besucherzuwachs durch die documenta spekulieren die Hannoveraner durchaus: „Es wird viel internationales Publikum in Hannover sein“, sagt die Sprecherin der Ausstellung, Beate Anspach. „Und wenn man so ein großes Projekt macht, will man natürlich auch das größtmögliche Publikum erreichen.“

Den Kasselern wird das nicht gefallen, würde man vermuten. Aus Kassel aber ist zu hören: „Ich freue mich, wenn die documenta andere in Bewegung setzt“, sagt documenta-Geschäftsführer Bernd Leifeld. „Man verspricht sich auch in anderen Städten, an das Publikum der documenta heranzukommen. Das ist auch in Ordnung.“

Woher die Gelassenheit von Leifeld kommt, verdeutlichen ein paar Zahlen: Die hannoverschen Häuser kommen insgesamt auf rund 3.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, in Kassel hat allein das neue Ausstellungsgebäude, in dem drei Viertel der documenta-Objekte gezeigt werden, 12.000 Quadratmeter. In Hannover hat sich mit Hilfe der Kulturstiftung des Bundes und privater Sponsoren ein Ausstellungs-Etat von einer Million Euro gefunden, in Kassel stehen dieses Jahr 18,9 Millionen Euro zur Verfügung. Bei ihrer letzten Ausgabe im Jahr 2002 hatte die documenta rund 650.000 Besucher – in Hannover erwartet man 35.000 bis 40.000.

Und trotzdem ist „Made in Germany“ kein kleines Trittbrettfahrer-Projekt. Nicht nur, dass die drei hannoverschen Museen erstmals logistisch kooperieren, auch inhaltlich hat man Kunst-Kompetenz gebündelt: Die Ausstellung wird betreut von insgesamt sechs Kuratoren, drei aus der Kestnergesellschaft, einer vom Kunstverein Hannover und zwei vom Sprengel-Museum. Gemeinsam haben sie rund 100 KünstlerInnen begutachtet und sind dafür nach Berlin, München, Köln und Düsseldorf gereist. Dort besuchten sie Ateliers und führten Gespräche, um danach gemeinsam auszudiskutieren, wer ausgestellt werden soll. Ziel von „Made in Germany“ ist, eine Bestandsaufnahme zu bieten von dem, was junge, ambitionierte und in Deutschland arbeitende Künstler derzeit produzieren.

Herauskommen wird nun eine Mischung aus bereits bekannten Künstlern wie Jonathan Monk, Björn Melhus oder Daniel Roth und solchen, die bislang nur Insider kennen. Außerdem ist es eine Mischung, in der alle Genres und auch etliche Nationalitäten enthalten sind: „Made in Germany“ meint tatsächlich nur den Arbeitsort und nicht die Herkunft der Künstler. „Deutschland ist ein Land der Immigranten“, sagt die Kuratorin des Sprengel-Museums, Gabriele Sand. „Kulturpolitisch ist das ein wichtiger Aspekt, den wir betonen möchten.“

Wobei Deutschland für die junge Szene immer noch vor allem Berlin bedeutet, sagt Sand. „Dort gibt es eine lebendige Szene und die Mieten sind billig. Das ist frappant gegenüber Köln oder München.“ Außerdem gebe es in Deutschland vergleichsweise viele Ausstellungsmöglichkeiten und eine dichte Struktur von Hochschulen. „Viele kommen durch ein Stipendium nach Deutschland und bleiben dann hier.“

Wenn die Ausstellung gelingt, sei eine Wiederholung denkbar, sagt der Direktor der Kestnergesellschaft Veit Görner und denkt dabei sofort an den Fünfjahresrhythmus der documenta. Und auch in puncto Internationalität sehen die Hannoveraner Überschneidungen. Denn „was in Deutschland an Kunst produziert wird“, sagt Kuratorin Sand, „ist international.“