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Archiv-Artikel

Wer nicht hören will …

Früher galt die Flucht in Wärme und Sonne als Aussteigermodell – heute bereiten uns sogar hohe Temperaturen im Winter eher Unbehagen. Nehmen wir den Klimawandel jetzt endlich ernst?

VON BARBARA DRIBBUSCH

Eine neue Epidemie breitet sich aus und ist nicht mehr aufzuhalten – es ist der Klimawandel. Der hat „längst ganz Europa erfasst“ schrieb die Bild-Zeitung über den „Wetter-Irrsinn“, der Deutschland sogar „wärmer als Mallorca“ mache.

Die derzeit zu warmen Temperaturen schrecken die Volksseele auf und befeuern die Angst, dass das nun immer so weitergeht mit dem labberigen Winterwetter. Was Ökowarner eigentlich freuen müsste, nämlich die breite öffentliche Aufmerksamkeit für Klimafragen, droht sich in Panikmache zu verwandeln. Dabei werden munter Fakten und Ängste vermischt.

Um durchschnittlich 6 Grad zu warm gilt bisher der Januar. Auch im Juli des vergangenen Sommers wurden 5 Grad mehr als im Durchschnitt gemessen. Die jahreszeitlich zu hohen Temperaturen gelten dem Meteorologen Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung zwar durchaus als Indiz für die Klimaveränderung, jedoch handele es sich dabei immer noch um „extreme Wetterlagen“. Die gab es immer wieder mal. Es sind aber keine Temperaturen, mit denen wir ab sofort durchgehend rechnen müssen. Die EU-Kommission warnte kürzlich vor einer Steigerung der globalen Durchschnittstemperatur um 3 Grad Celsius – innerhalb der nächsten 70 Jahre.

Schleichende Gewöhnung

Der langfristige Temperaturvergleich soll jedoch keine Entwarnung geben, im Gegenteil. Der Klimawandel, der schleichend vonstatten geht, wird durch die aktuelle Wetterlage für jeden anscheinend ganz unmittelbar und plötzlich spürbar. „Darin liegt eine Chance, denn dadurch könnte das persönliche Handeln umweltbewusster werden und sich auch der Druck auf die Politik verstärken“, sagt Gerhild von Müller, Psychologin und Psychotherapeutin in Köln. Allerdings bestehe die Gefahr, „dass wir uns beim nächsten Schneefall wieder beruhigt zurücklehnen und sagen: Na, ist ja doch nicht so schlimm. Das wäre dann der übliche Verdrängungmechanismus“, so von Müller. Ebenso schleichend wie der Klimawandel könnte auch die Gewöhnung an milderes Wetter verlaufen.

Laue Temperaturen, schneearme Berge, sprießende Kirschbäume und dann wieder unerwartete Stürme erzeugen das ungute Gefühl, das irgendwas nicht stimmt mit der Natur. Das Bild des Winters mit Schnee und Rodelschlitten ist längst fest in der hiesigen „Volksseele“ etabliert. „Das ist kulturell aufgeladen“, so von Müller. Schon im Kindergarten werden die Jahreszeiten in Gedichten und Liedern gelehrt und mit entsprechenden Bildern ausgestattet. „Der Winter gilt als Ruhezeit in der Natur. Man rückt enger zusammen. Der Schnee bedeckt den Boden, bietet aber auch Schutz. Die Geräusche sind gedämpft, die Welt wirkt wie ein geschlossener Raum“, beschreibt die Psychologin.

Das Bild winterlicher Geborgenheit erscheint in diesen Tagen als Rarität und weckt nostalgische Gefühle. Dabei war es in früheren Jahrzehnten eher der Sommer, der öffentlich gefeiert wurde. Entsprechend galt die Flucht in wärmere Gefilde in den vergangenen Jahrzehnten als Aussteigermodell. Künstler ließen sich auf Ibiza nieder. RentnerInnen zogen um nach Mallorca. Wenn die Sonne scheint und die Luft wärmer ist, so der schlichte Gedanke, dann muss es den Menschen automatisch bessergehen.

Doch die Bilder wandeln sich: Heute sind eine intakte Arktis mit ausgeglichenen Eisbären, schneebedeckte Alpengipfel und ein weiß überzogener Himalaja Zeichen dafür, dass die Welt noch die alte und somit in Ordnung ist.

Wärme bedeutet ohnehin nicht automatisch mehr Sonne und damit bessere Laune. Im Gegenteil, mit dem lauen Wetter hängt ein grauer Himmel über dem Gemüt. Die Wärmebewegungen erzeugen Wolken, und die lassen weniger Strahlen durch als ein Himmel an einem kalten, sonnigen Wintertag. Doch nicht die Wärme, das Licht beeinflusst die Stimmung von Melancholikern, weiß die Wissenschaft. Und vom Licht gibt es bei uns auch mit dem Klimawandel eher weniger, nicht mehr.

Der Umgang mit dem Wetter ist allerdings „individuell unterschiedlich“, gibt von Müller zu bedenken. Wer im Dezember ohnehin immer nach Teneriffa geflogen ist oder wer etwa als Stadtmensch in Köln schon lange keinen Schnee mehr erlebt hat, für den ist der Verlust der Kälte eher zu verschmerzen als für Menschen, die mit dem Winter Spaziergänge im Schnee und Eislaufen auf den Seen verbinden. Wenigstens kann man schon mal damit anfangen, bei warmem Wetter mehr Fahrrad zu fahren. Und die Heizung muss auch nicht mehr so weit aufgedreht werden – das ist ökologisch und hilft gegen den Treibhauseffekt und Klimawandel.