: Europa ohne Gott
Angela Merkel will die EU-Verfassung – mit Gottesbezug. Das ist absurd. Es schließt Millionen Nicht- und Andersgläubige aus und ignoriert die Gräuel des Christentums
Wie gut, dass wir eine gute Verfassung haben, unser Grundgesetz. In welcher Verfassung sich ein Land befindet – das allerdings sagt der nach aller Sitte, Vernunft und juristischer Contenance erarbeitete Text nicht aus. Allenfalls, in welcher Verfassung es sich befinden sollte.
Was dem vorgestellten Ideal entsprechen und was den Freiheitsgraden unterworfen werden soll, darum streiten sich die Parteien seit Jahr und Tag – wie an den Wortmeldungen zur künftigen Verfassung der Europäischen Union neuerlich zu erleben.
Derzeit scheiden sich die Geister, neben der Forderung nach sozialer Ausgewogenheit, an der Frage: Soll in die Präambel ein Bezug auf das Christentum aufgenommen werden oder nicht? Dass der Papst und die christlichen Kirchen mit Vehemenz dafür sprechen, versteht sich von selbst. Aber Politiker kraft ihrer Staatsfunktion?
Die Bundeskanzlerin Merkel drängt zu jeder passenden Gelegenheit darauf, Gott in die Verfassung hineinzuschreiben. Zum Katholikentag in Saarbrücken, als sie Benedikt XVI. in dessen Sommerresidenz Castel Gandolfo ihre Aufwartung machte, und beim Papstbesuch in München: Stets sinnt Frau Merkel auf eine religiöse Grundierung der EU-Verfassung, und es ist zu befürchten, dass sich dieser Glaubensdrang nun in der deutschen Ratspräsidentschaft verstärken wird.
Warum das Beharren auf einen Gottesbezug? „Weil das Christentum wesentlich unsere europäische Geschichte geprägt hat“, sagt Merkel. Das bestreitet ja niemand. Aber eine Verfassung ist kein Geschichtskommentar, sondern ein Verhaltenskodex. Und wenn schon Geschichte, neuere Geschichte, die den in der Verfassung zu legitimierenden Europagedanken vorherbestimmen soll, dann wäre zumindest auch an die Aufklärung zu denken sowie an die von der Französischen Revolution deklarierten Menschenrechte. Der Entwurf des EU-Vertragswerks kommt dem entgegen. Da ist die Rede vom „kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben“.
Warum trotzdem das Insistieren auf die „christlichen Wurzeln des Abendlandes“? Es besteht der Verdacht, dass die Präambel des deutschen Grundgesetzes auf europäische Verhältnisse übertragen werden soll. Darin steht, das Volk habe sich dieses Grundgesetz gegeben „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott“.
Eine absurde Festschreibung, der nur ein Teil des Volkes, jener religiösen Gemüts, folgen kann. Ein nichtreligiöser Mensch, ein Atheist empfindet keine und hat auch keine Verantwortung vor Gott. Das heißt, vorsätzlich der Präambel in ihrem Wortsinn kann ein Atheist gar nicht auf das Grundgesetz verpflichtet werden. Auch nicht ein Muslim. Denn mit dem Gott ist der christliche Gott gemeint. Streng genommen ist für diese Bürger das Grundgesetz nichtig.
Diese Präambel steht in klarem Widerspruch zum Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche, wie sie 1919 vollzogen und als Artikel 140 ins Grundgesetz übernommen worden ist. Nun sagen nicht nur orthodoxe Konservative, sondern auch der ehemalige Bundestagspräsident Thierse (SPD): Religion ist keine Privatsache. Was dann? Doch eine Staatsangelegenheit? Das Christentum nicht de jure, aber de facto doch eine Staatsreligion? (Was sich laut Grundgesetz verbietet!)
Denkt man an die Privilegien, die kirchliche Gemeinschaften hierzulande genießen, könnte man zu dieser Ansicht gelangen. Die Kirchensteuer wird erst einmal vom Staat bevormundend eingezogen (und er trägt die Kosten dafür). Mit Steuergeldern auch von Konfessionslosen werden theologische Fakultäten unterhalten; allein in Bayern sind es acht mit traumhaft vielen Professoren. Die karitativen Unternehmungen, die sich die Kirche zugute hält, werden etwa zu 80 Prozent vom Staat bezahlt – um nur ein Beispiel zu nennen.
Der Humanwissenschaftler Markus Meßling spricht von einer „finanziellen Verwebung des Staates mit der Kirche“, und der Spiegel widmete eine seiner Titelgeschichten dem immer noch währenden Bündnis von „Thron und Altar“. In Deutschland wurde die Trennung von Kirche und Staat nie konsequent vollzogen. Die Buhlschaft umeinander hat zu vielen faulen Kompromissen geführt.
Indes sollten vor allem die Protestanten unter den Aposteln einer Rechristianisierung der Politik die Worte eines ihrer herausragenden Religionsphilosophen bedenken. Friedrich Schleiermacher, emphatisch gläubiger Priester und Staatstheoretiker, der doch unzweifelhaft auch zu den „christlichen Wurzeln“ gehört, trat für die saubere Trennung von Kirche und Staat ein – und zwar aus Gründen der Glaubensreinheit. Religion und Spekulation (womit Philosophie gemeint ist) „sind bestimmt, aus dem Dominium des Staates entlassen zu werden in das Gebiet der Einzelnen als solcher“, schrieb er in seiner Staatslehre. „Ob sie sich dann organisieren oder nicht, geht den Staat nicht an; ob, wenn sie es tun, er davon Notiz nimmt oder nicht, hängt von den Umständen ab.“
Angela Merkel im Verein mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann und dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Wolfgang Huber begründen ihr Ansinnen nach einer auf das Christentum bezogenen EU-Verfassung damit, dass Moral und Ethik vornehmlich durch Religion vermittelt werde. Das genau ist die päpstliche Doktrin, der zufolge die „Letztbegründung“ aller ethischen Werte bei Gott liege. Und da Politik, in verantwortlicher Weise betrieben, der ethischen Klärung bedürfe, kann Bischof Huber fordern: „Ohne Gott ist kein Staat zu machen.“
Was soll das heißen? Kann ein konfessionell ungebundener Mensch kein verantwortungsbewusster Staatsbürger sein? Soll er von der Politik ausgeschlossen werden? Ist er zu weniger Anstand, Menschenachtung und Mitgefühl fähig, weil er Freidenker ist oder sich von allein humanistischen Maximen leiten lässt?
Die Berufung auf ethische Werte der Religion ist gewiss in freundlicher Absicht gemeint und kann für den Einzelnen eine Hilfe sein; dagegen ist gar nichts einzuwenden. Aber in Gottes Namen sind keineswegs nur freundliche Dinge geschehen. Das christliche Europa hat die furchtbarsten Gräuel über die Menschheit gebracht – von den Kreuzzügen über Kolonialismus bis zu Weltkriegen und Völkermord. Das gehört auch zu der angeblich in christlichen Wurzeln schlummernden „europäischen Identität“. Sie als nur positive Identität auszugeben, weil sie als eine „göttlich“ beschworen wird, beruht auf einem Gespinst von Lügen.
Erinnern wir uns besser eines Satzes von Ludwig Feuerbach, dem bis in unsere Tage bedeutendsten Religionskritiker: „Ein Staat, der den Glauben zu einer indirekten Steuer macht, gebietet direkt die Heuchelei.“
JENS GRANDT
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