Charlottenburg in Sektenlaune

1.000 Anhänger aus vielen Ländern kommen zur Eröffnung der Scientology-Zentrale. Draußen schwenken sie Landesfahnen und jubeln. Drinnen spielen sie mit Knetmasse und seltsamen Apparaten. Die Presse ist unerwünscht. Zwei Reportagen

Vor dem Haus: WALTRAUD SCHWAB

Nichts ist bei der Eröffnung der Scientology-Zentrale in Berlin dem Zufall überlassen. Nachdem die Sondernutzung der Straße für eine Demonstration untersagt wurde, haben sich die tausend Claqueure der Sekte, so die Schätzung der Polizei, am Samstagmittag rund um die Otto-Suhr-Allee Ecke Cauerstraße postiert. Dazu scheppert Musik über Lautsprecher.

Vor dem Gebäude schwenken Ungarn und Franzosen, Israelis und Italiener ihre Landesfahnen. Man kann jüdisch und scientologisch sein, sagt eine junge Israelin. Ihre Kolleginnen singen „Halleluja, halleluja“. Die Italiener wiederum kündigen an, dass die nächste Scientology-Zentrale in Turin eröffnet wird, 95.000 Quadratmeter groß. Ein Katastropheneinsatzzentrum soll es werden. Vom Haus herunter grüßen die Bayern – Becksteins Kritik zum Trotz.

Auf dem Mittelstreifen hat sich ein schwedisches Paar aufgestellt. Statt Fahne hält der blonde Hüne, der mit seinen vollen Lippen und den hellen Augen dem Sektengründer ähnelt, einen Schirm in den Himmel. Natürlich freuen sich die beiden über die Eröffnung. Natürlich hat Scientology sie glücklich gemacht. Wie glücklich? So glücklich, dass sie sich nur auf das Schöne im Leben konzentrieren. Seit sie das Schlechte ausklammern, gebe es das Schlechte nicht mehr.

Die jungen Dänen auf der anderen Straßenseite sagen dasselbe. Sie schwenken ihre Fahnen am höchsten. Höher als die Griechen. Eine Frau in Schwarz stiftet sie dazu an. Auch eine Schweizer und eine Kanadierin, die mit Pappbecher dasteht, wiederholen die bekannten Sätze. Er: „Berlin braucht Scientology.“ Sie: „Scientology bietet Lösungen an bei Problemen.“ Man müsse es ausprobieren. Sie sei Theaterleiterin gewesen und durch Scientology erfolgreich geworden. Jetzt führt sie durch scientologische Sitzungen, um andere erfolgreich zu machen. Die Griechen dagegen haben keine Lust, etwas zu sagen. Sie schieben die Fragenden einfach beiseite. Unterdessen werden die Journalisten, die sich als solche zu erkennen geben, von Unbekannten aus unmittelbarer Nähe fotografiert. „Krass“, sagt eine Frau, die das alles beobachtet.

Sie ist Lehrerin in Kreuzberg. Aus Sorge um die Jugendlichen ist sie hergekommen. Sie findet das alles beängstigend. Ihr Partner arbeitet bei den Grünen im Bundestag. Rechtlich könne man die Eröffnung des Zentrums nicht verhindern, meint er. „Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit sind wichtige Errungenschaften der Demokratie.“ Er wagt sich auf die andere Seite der Straße, die Lehrerin nicht. „Wenn ich fotografiert werde, wie soll ich, wenn es irgendwo veröffentlich wird, klarmachen, dass ich aus Sorge hier bin?“

Gegenprotest gibt es wenig. Eine Frau hält ein Plakat hoch: „Gehirnwäsche – nein danke“. Als sie sich damit vor die Zentrale wagt, drängen Ordner sie ab. Ein älterer Herr aus Tempelhof wiederum hat Angst um seine Enkel. Sie gehen in der Cauerstraße in die Schule. Neulich hat er sie abgeholt. Da erzählt ihm die Zehnjährige, dass sie auf der Straße angesprochen wurde. „Du siehst so verfroren aus. Willst du nicht reinkommen und eine Schokolade trinken?“ Jetzt fragt er die Polizistinnen vor Ort: „Muss ich meine Enkel von nun an von der Schule abholen, um sie vor diesen Kinderfängern zu schützen?“ Ein paar Schüler aus Kiel, einer mit Palästinensertuch, einer im Gothic-T-Shirt, sind auch da. Eigentlich sind sie wegen einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Jetzt verteilen sie Flugblätter, die zum Gespräch mit einem bolivianischen Gewerkschafter einladen. Sie wirken verloren.

Die Leute, die in das überfüllte Gebäude drängen, sind jung und gut gekleidet. „Für uns interessieren die sich nicht“, meint eine ältere Frau mit Hund, die vor dem Imbiss an der Ecke neben einem Bärtigen steht. „Wir sind auf Hartz IV.“ Der Bärtige hat indes ein anderes Problem: „Kein Spießbraten, kein Freibier. Was soll das sein? ’ne Eröffnung?“ Gäste bekommen nur eine graue Papiertüte in die Hand gedrückt. Drin sind Pamphlete gegen Drogen. Eine Frau, offenbar am Rand eines Nervenzusammenbruchs, trägt ein Schild. „Ich bin Opfer dieser brutalen, unehrlichen Organisation.“ Sie wurde manipuliert, erklärt sie. „Aber jeder Mensch ist individuell, da kann man keine Maschine draus machen.“

Später steht ein junger Türke an der Bushaltestelle gegenüber. Sind Sie auch Scientologe? „Nein.“ Sie sehen wie ein Rapper aus. „Ich bin Rapper.“ Was hat sie hierhergeführt? „Ich wollte sehen, was los ist.“ Was haben Sie gesehen? „Ey, das ist voll krass. Es geht nur um Abzocke.“

In dem Haus: ALEXANDRA ODIRI

Man kennt sich. Überall begrüßen sich Leute, alle gehören zum Club. Scientologen, so scheint es, tragen mit Vorliebe dunkelblaue Anzüge, Krawatte und einen ordentlichen Kurzhaarschnitt. Das Ganze wirkt weniger wie das Treffen einer Glaubensgemeinschaft, sondern wie die Firmenfeier eines amerikanischen Unternehmens. Möbel, Teppiche, Wände – alles ist neu. Überall hängen bronzene Schilder, die den Weg weisen. Aus Lautsprechern kommt feierliche Fanfarenmusik, die an „Dallas“ erinnert. Die Mitarbeiter sind sehr freundlich und wirken extrem professionell.

„Good morning. Welcome“, begrüßt mich eine Scientologin mit amerikanischem Akzent. Was sie nicht weiß: Ich bin als Journalistin hier. Die sind weder zugelassen noch willkommen. Sie sind trotzdem da. Undercover, wie ich. Als interessierte Neuberlinerinnen etwa.

Im Sog der Menschenmassen, die in das Gebäude drängen, zieht es mich ins Treppenhaus und bis in den sechsten Stock. In der hauseigenen Bibliothek gibt es regalweise bunte Bücher. Autor aller dieser Schriften ist, so scheint es, L. Ron Hubbard – der Gründer von Scientology.

Auf den Tischen zwischen den Büchern stehen seltsame Geräte, die an Spielzeugcockpits erinnern. Gerade erklärt eine junge Frau einer Gruppe Interessierter, was es damit auf sich hat. Es handele sich um ein Elektropsychometer, das verwendet werde, um psychischen Stress oder Schmerz zu messen. Ich bin skeptisch. Deshalb fordert sie mich auf, es selbst auszuprobieren. Sie drückt mir zwei Aluminiumzylinder in die Hand, die mit schwarzen Kabeln an das Gerät angeschlossen sind. „Denken Sie an etwas, was Ihnen Sorge bereitet“, sagt sie. Kein Problem. Mir fällt mein ausgereizter Dispokredit ein. Nichts tut sich. Auch nach erneuter Aufforderung, „ganz fest“ an den Stressauslöser zu denken, bewegt sich der Zeiger keinen Millimeter nach rechts.

„Das ist jetzt nur zur Demonstration, normalerweise machen wir das nicht“, versucht sie zu beruhigen, bevor sie mich sehr unsanft in die Hand kneift. Erfolglos. Schließlich soll ich mir „den Moment des Schmerzes zurückholen“. Als sie – nicht besonders unauffällig – an einem der Schalter dreht, schlägt der Zeiger endlich nach rechts aus. Die junge Scientologin ist zufrieden.

„Scientology ist logisch und beruht auf Wissenschaft und Technologie“, erklärt sie ihre Begeisterung. „Man lernt, den menschlichen Verstand zu verstehen.“ In England, wo sie aufgewachsen sei, sei man Scientology gegenüber viel offener als in Deutschland. Hierzulande werde ja ohnehin alles Mögliche verteufelt. Ihr Fazit: „Wenn etwas öffentlich so stark angegriffen wird wie Scientology, muss eine gute Idee dahinterstecken.“

Zwei Etagen tiefer steht eine Menschenschlange vor einem Zimmer. „Worauf warten die?“, frage ich. „Das ist das Büro von L. Ron Hubbard“, antwortet ein Angestellter. „Und warum hat der ein Büro, schließlich ist er seit über 20 Jahren tot?“, will ich wissen. „Aus Tradition und zu Ehren unseres Gründers gibt es in jedem Scientology-Zentrum ein Büro für ihn“, erwidert der Mann.

In schnellerem Tempo mache ich mich auf den Weg nach unten. Dabei begegne ich einem Ehepaar, das mit Hilfe von Knete und Bauklötzen zu sich selbst finden will, und einem Mann, der auf dem Laufband seine Seele reinigt. Ich passiere den Buchladen, in dem Bücher mit Titeln wie „Psychiatrie – Tod statt Hilfe“ oder „Kinder-Scientology“ stehen, eine Vitrine mit Scientology-Schmuck, Unterrichtsräume, in denen „Kurse zur Lebensverbesserung“ angeboten werden, und einen Raum, in dem die central files, die Akten über alle Mitglieder, verwahrt werden.

Nach dreieinhalb Stunden wird man misstrauisch gegen mein Interesse. Ob ich aus professionellen Gründen neugierig sei, fragt mich ein Scientologe. Da ziehe ich es vor, zu gehen.