die taz vor fünf jahren: Völkerrecht und Angriffskrieg
Das Völkerrecht war der Versuch, die Staaten daran zu hindern, sich gegenseitig in Kriegen zu zerfleischen, ohne dass es eine Zentralgewalt gab, die das durchsetzen konnte. So unvollkommen es auch war, so bot es der Welt doch eine gewisse Struktur. Seit dem 11. September gibt es diese Struktur nicht mehr. Und sie lässt sich auch nicht wiederherstellen.
Dieses Völkerrecht ist nicht nur infolge des 11. September und der amerikanischen Hybris zusammengebrochen, sondern infolge eigener Widersprüche: Sein moralisches Element – das Bekenntnis zu der universalen Geltung der Menschenrechte – verträgt sich nicht mit dem Prinzip der Nichteinmischung. Andrerseits verträgt sich die Diskriminierung von Staaten, die einen Angriffskrieg führen, nicht mit der Wertneutralität, die in der Idee der Souveränität und der Gleichheit der Staaten angelegt ist.
Der gegenwärtige „War Against Terror“ ist wieder moralisch hoch aufgeladen. Aber: Kann man die Rückkehr in die wertneutrale klassische Ordnung propagieren? Kann man die Moral, die eine Weltmoral geworden ist, wieder abschaffen? Kann man die Menschenrechte wieder abschaffen? Kann man das Bedürfnis nach der Bestrafung von Massenmördern wieder abschaffen?
Man kann angesichts der Atombombe nicht zu der sportlichen Kriegsauffassung des klassischen Völkerrechts zurückkehren. Nicht die Aufladung ist das Problem. Sondern, dass der Moralordnung eine Weltordnung fehlt, die eine universale Exekutive besitzt. Sibylle Tönnies taz vom 15. 1. 2002
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