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Archiv-Artikel

Sein Name ist Mensch

TANZTHEATER In „Bonnkrott – Eine Stadt tanzt“ treten ehemalige Junkies auf – im öffentlichen Raum, beim Bonner Hauptbahnhof, wo früher die Drogenszene war

Sieben Jahre war sie clean, dann hatte sie einen Rückfall. Jetzt bekommt sie Methadon. Das Stück ist für sie Teil ihres Neubeginns

VON ANJA KRÜGER

Petra steht auf dem tief liegenden Platz vor dem Hauptbahnhof. Sie hat ein Mikrofon in der Hand und erzählt, warum sie als Junkie hier ins „Bonner Loch“ gekommen ist. „Das Bonner Loch war ein Zufluchtsort für mich“, sagt die 53-Jährige. Im Hintergrund übersetzt Tänzer Mack Kubicki ihre Empfindungen aus dieser Zeit in Bewegung. Seine Gestik und seine Mimik zeigen eindrucksvoll und schaurig Schmerz, Angst und Verzweiflung, die hinter Petra liegen. Ab und zu gibt er klagende Laute von sich.

Das „Bonner Loch“ ist der Platz hinter der Unterführung, die vom Bahnhof in die Innenstadt führt. Lange traf sich hier die Drogenszene der Umgebung, bis sie zum nahe gelegenen Busbahnhof vertrieben wurde. Ein Platz für Obdachlose ist es immer noch. Treppen umgeben ihn. Am Wochenende dienten sie als Zuschauerplätze für das Stück „Bonnkrott – Eine Stadt tanzt“, ein Projekt des politischen Tanztheaters „Bodytalk“ von Rolf Baumgart und Yoshiko Waki.

Die beiden stehen in der Tradition der legendären Pina Bausch, die Tanz mit Gesang, Schauspiel, Pantomime und Artistik zu einer neuen Ausdrucksform verband. Sie begreifen ihr politisches Tanztheater als „radikal subjektiv“ und „radikal lokal“. In „Bonnkrott“ erzählen Ex-Junkies selbst ihre Geschichte, und zwar am Ort ihres Geschehens. Wakis Choreografie stellt sich in den Dienst dieser Erzählung.

Das Stück beginnt mit Sascha. „Ich bin 27 Jahre alt, mein halbes Leben bin ich in der Szene aktiv“, sagt er. Sascha ist obdachlos, seit seine Freundin ihn vor acht Jahren vor die Tür setzte. Früher hat er im „Bonner Loch“ gelebt. Er zeigt mit dem Finger auf eine Ecke: „Dahinten habe ich geschlafen“, sagt er. Inzwischen ist er unter eine Eisenbahnbrücke gezogen. Seine Gesundheit ist ruiniert, er hat Hepatitis C. Jetzt ist er im Methadonprogramm. Das Ensemble kreist Sascha ein, alle zerren an ihm.

Jeder hat Ratschläge, wie er seine Lage ändern kann. „Du musst das rational angehen“, rät einer. Die Tänzerin Sylvana Seddig fragt die Zuschauer und Zuschauerinnen, die sich zu vielen Duzenden um den Platz gesammelt haben, ob sie Sascha einen Tipp geben können. Eine Frau muss lachen, ein anderer hat keine Idee. Eine dritte ist offensichtlich Sozialarbeiterin. „Wenn er die Finger von den Drogen lässt, klappt das schon“, sagt sie.

Interaktion mit dem Publikum ist typisch für Theater im öffentlichen Raum. Sascha hat genug von all den Ratschlägen – im Leben wie im Stück. „Immer nur dieses Negative, ich will auch mal was Lustiges sehen“, ruft er.

Ein erfüllter Wunsch

Zumindest im Stück wird Saschas Wunsch erfüllt. Auf Krücken tanzt das Ensemble zu Deep Purples Stück „Hush“ ausgelassen und mit beeindruckender Akrobatik. Die Tänzer treten in renommierten Häusern auf, der geniale Mack Kubicki etwa an der Berliner Volksbühne und an der Deutschen Oper am Rhein. Der Tanz mit den Krücken mündet in ein Figurenarrangement, das an einen Käfig erinnert. In der Mitte steht Petra. „Ich will hier raus“, ruft sie. Sieben Jahre war sie clean, dann hatte sie einen Rückfall. Jetzt bekommt sie Methadon. Das Stück ist für sie Teil ihres Neubeginns.

Diejenigen, die noch immer im „Bonner Loch“ leben, bleiben während der Aufführung. „Wir wollen niemanden vertreiben“, sagt Baumgart. Ein Obdachloser mokiert sich, als das Ensemble Rio Reisers „Mein Name ist Mensch“ singt. „Verarscht euch doch selber“, ruft er. Als Mitspieler und Zuschauer mit Kreide ihre Wünsche und Sehnsüchte auf den Boden schreiben, geht er zu ihnen. Sie schreiben Begriffe wie „Respekt“, „Liebe“, „Freisein“ und „barfuß“. Die angebotene Kreide wirft der Mann weg. Aber er liest aufmerksam die Begriffe. Er hört auf zu schimpfen, geht an den Rand und schaut zu, bis das Ensemble im Wiegeschritt zum nahe gelegenen Busbahnhof zieht.

„Uns geht es um die Frage, was passiert, wenn Tanz und Realität aufeinandertreffen“, sagt Rolf Baumgart. „Bonnkrott“ ist Kunst, keine Sozialarbeit. „Aber es geht auch um die Auseinandersetzung der Darsteller mit sich selbst“, sagt er.

Baumgart und Waki haben Sascha und die anderen Ex-Junkies in einem Café der Suchthilfe kennengelernt. „Bonnkrott“ wurde von der Kulturstiftung des Bundes mit Mitteln des Sondertopfes „Theater im öffentlichen Raum“ gefördert. „Bodytalk“ erhält vom Land NRW die Spitzenförderung Tanz und wurde mehrmals ausgezeichnet. Für die Produktion „Zig Leiber / Oi Division“ über Neonazis bekamen Baumgart und Waki 2011 den Leipziger Bewegungskunstpreis. Ihr nächstes Projekt: Die beiden werden gemeinsam mit dem Polnischen Tanztheater in Posen ein Stück entwickeln.