ausgehen und rumstehen : Lebensnäher geht’s nimmer: Sich leerlästern auf den drei Stufen der Paarbeziehung
Neulich saß ich in einer viel zu dunklen Münchner Bar rum, beobachtete zwei Afterwork-Club-Endzwanziger bei der Paarungsanbahnung und stellte fest, dass das in meinem Ausschnitt von Berlin irgendwie informeller abläuft. Die beiden hatten sich beide ordentlich aufgerüscht – sie Kleidchen mit Stiefeln, er dunkler Anzug mit hässlich gestreiftem Hemd – und nippten nur sporadisch an ihren in absurd kleinen Gläsern dargereichten Cocktails. Sie waren vollauf damit beschäftigt, auf dem Ledersofa verhuscht aufeinanderzuzurutschen.
Als sich dann endlich auch ihre Zungen kennenlernten, fiel mir auf, dass ich zu Hause in Prenzlauer Berg allein drei Läden kenne, deren Name auf derart Zwischenmenschliches rekurriert, und zwar in einer solch lebensnahen Abfolge: das „Zu mir oder zu dir“ an der Lychener Straße, dann das „Liebling“ (Duncker-/Ecke Raumerstraße) und zuletzt das „Lass uns Freunde bleiben“ an der Choriner Straße. Obwohl ich sportlich eine Niete bin, beschloss ich, an zurückliegenden Wochenenden diesen „Dreisprung“, wie die Redakteurin es nannte, zu wagen.
Das „Zu mir oder zu dir“ könnte auch „Hauptsache ’s knallt“ heißen: Die Lollipop-Retro-Einrichtung wirkt wie im Austin-Powers-Fundus geklaut, die Alkoholmengen in den Blumenvasen-Cocktails und die kreuz und quer durch den rappelvollen Raum hämmernden Baggerblicke sind alles andere als dezent. Das „Zu mir oder zu dir“ ist einer dieser Läden, die an die niederen Instinkte im Menschen appellieren, ans Triebhafte: Gaffen und begafft werden, lästern und lästern lassen. Deswegen sind wir alle hier. Und kommen immer wieder.
Mein Freund Daniel und ich staunen wie immer über den kuriosen Gäste-Mix. Die beiden gerade mal volljährigen Indie-Jungs, von denen der eine den anderen exaltiert vollschwallt (wird bestimmt mal Schauspieler!); die Süße mit der Fifties-Frisur und dem unsagbar schmierigen Freund im beigefarbenen Sakko des Grauens; die Blonde mit krummer Nase, krummem Rücken und zwei blassen Freundinnen; der Ganzkörper-gegelte Gigolo mit V-Ausschnitt bis in den Intimbereich; die beiden Mitte-Opfer in selbstgehäkelten Strumpfhosen; der Brillenbürstenhaarschnittjunge im von Mutti rausgelegten Strickpulli mit Klemmikragen; die hysterische Gruppe Spanier, von denen einer laut T-Shirt-Aufdruck Irland liebt – genauso unvermeidlich wie die BWL-Spacken mit ihren hochgeschlagenen Polokragen und plattgeklopftem Hirn.
Daniel und ich amüsieren uns prächtig, erst recht nachdem wir endlich einen Platz auf dem raumgreifenden auswurffarbenen Sofa ergattert haben, nur einen Meter von der Süßen entfernt, aber eben auch von ihrem Schmierlappen. Nach zwei Flaschen Augustiner pro Nase verliert die Herablassung ihren Reiz. Wir sind leergelästert.
Im „Liebling“ ist jeder Abend Pärchenabend. Am Nebentisch treffen sich gerade Carsten und Julia mit Tom und Ines – oder Hennig und Mareike mit Stefan und Lena. Sie reden über irgendwas zwischen Job, Wohnung und Urlaub. Stühle gibt’s keine mehr, also quetsche ich mich zwischen Daniel und Tom/Stefan auf die cremeweiße Lederbank und schaue mich um. Das „Liebling“ ist Urlaub für die Augen – hier knallt nichts, außer ab und an mal ein Sektkorken. Weiße Wände, dunkles Holz, ein organisch geschwungener Tresen, samtbezogene Stühle, alles sehr geschmackvoll. Und ein bisschen langweilig. Wie die meisten hier. Ein Hauch von München – auch bei den Preisen: Der halbe Liter Staropramen vom Fass kostet 3,20 Euro, 70 Cent mehr als das Münchner Bier im „Zu mir oder zu dir“.
Das „Lass uns Freunde bleiben“ hat zu. Auch am nächsten Tag habe ich kein Glück. Und freue mich über diese lebensnahe Schlusspointe. DAVID DENK