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Archiv-Artikel

Das Mädchen aus der Reinigung

Mit enormer Energie und einer Erotik, die alle Raster sprengt: Die Münchner Schauspielerin Brigitte Hobmeier eignet sich absturzgefährdete Glücksritterinnen von Horváth oder Wedekind an, als glaube sie fest an deren Erfolg. Und holt so mythische Figuren zurück auf die Erde. Ein Porträt

VON SABINE LEUCHT

Brigitte Hobmeier ist passionierte Achterbahnfahrerin. Kaum scheint es ein bisschen aufwärts zu gehen, rast der Zug auch schon wieder nach unten – und zwar mit Karacho. So jedenfalls geht es ihr regelmäßig auf der Bühne, wo die 30-Jährige mit Vorliebe tragische Mädchen spielt, die sich mit großem Herzen und eben erblühtem Körper an ein Leben klammern, das ihnen brüsk die kalte Schulter zeigt.

Zuletzt war es die Elisabeth in Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“, die sich in den mahlenden Rädern des staatlich reglementierten Schicksals verfängt und – in der Abenddämmerung der Weimarer Republik – weder Menschen noch Strukturen findet, die sie auffangen könnten. Die soziale Kälte von heute lässt grüßen! Schließlich ersäuft sich Hobmeiers Elisabeth in einer der vielen Pfützen, die in Stephan Kimmigs Münchner Inszenierung die Bühne wie eine aseptische Wattlandschaft aussehen lassen. Und weil diese Pfütze eher eine Lache ist, gerät hier selbst das Sterben zu einem langen, wild entschlossenen Kampf, wie er für die bisherigen Rollen der rotblonden „Venus von Ismaning“ (Kultur Spiegel) so typisch ist.

Die Elisabeth mit ihrem Kunstbayerisch, das ihr so gut nach dem Munde geht, ist Hobmeiers erste Hauptrolle an den Kammerspielen, seit sie vor einem Jahr das Ensemble des Münchner Volkstheaters auf eigenen Wunsch verließ. Drei Spielzeiten lang war sie dort ein vom Publikum und der Kritik umjubelter Ensemblestar, dem der Intendant Rolle um Rolle auf den Leib inszenierte. Mit ihrem Wechsel an die Kammerspiele und in zuerst kleinere Rollen war sie kurzzeitig zwischen lauter überregional geachteten Schauspielergrößen untergetaucht – was irgendwie ganz gut passte, war Hobmeier doch fast zeitgleich begeisterte Mutter geworden. Zusammen mit ihrem Freund, der sie bis zur Familiengründung noch nie auf der Bühne gesehen haben soll, lacht sie jetzt über die Presse, die Dinge über sie schreibt, die doch wahrscheinlich keinen interessieren.

Und wenn Regisseure die Proben in ihr unbegreifliche Sphären abheben lassen, geht sie einfach nach Hause, sich erden und sich kümmern: „Ich brauche diese Zerrissenheit, also auch die Arbeit, in der ich mich verlieren und an den eigenen Haaren wieder rausziehen kann“, sagt die Schauspielerin, die man sich ebenso gut in einem Fellini-Film wie in der Wäscherei ihrer Mutter hinter dem Tresen vorstellen kann.

Von dieser Zerrissenheit sind auch ihre Bühnengeschöpfe. Alles Zwitterwesen – und immer auf dem Sprung. Die stolze Geierwally etwa im gleichnamigen Volksstück nach dem Schnulzenroman der Wilhelmine von Hillern, in deren Rolle Hobmeier demütig und lieb und bis zum Erschrecken kalt und grausam war. Neben Wedekinds Männermörderin „Lulu“ war die hoffnungslos liebende Wally die Paraderolle der „Hobi“ in Christian Stückls Volkstheater. „Ein Theaterviech“, nannte sie der Intendant, das sich in seine Figuren hineingräbt. „Da ist etwas, was mir schmeckt“, sagt sie zu den Figuren, und bei solchen Sätzen sieht man sie förmlich kauen, schlucken und verdauen.

Und wenn sie dann zu spielen beginnt, dann ist es fast so, als begegneten einem diese fremdartigen Figuren zum ersten Mal wirklich. Was ihr Geheimnis ist? Vielleicht, dass sie das Leben eindeutig wichtiger nimmt als das Theater. Im Gespräch ist Hobmeier das süße Mädchen aus der Vorstadt, das laut „Jippieh!“ schreit, wenn es für die Kunst mit ganz vielen Männern rumknutschen darf. Auf der Bühne ist sie ein Ereignis. Verweigert man ihr diese Ereignishaftigkeit, setzt sie sich still, aber beharrlich zur Wehr. So in zwei kleineren Rollen unter der Regie des überzeugten Spielverhinderers Laurent Chétouane: In „Stadt, Land, Fisch“ (Paul Brodowsky) konnten auch die unmöglichsten Kleider ihre alle Raster sprengende Erotik nicht verdecken, in Jon Fosses „Schatten“ wirkte ihr sybillinisches Lächeln geradezu subversiv. Derweil alle Darsteller zum emotionslosen Textaufsagen verdonnert waren, blühte in dem herzförmigen Gesicht mit der durchscheinenden Haut der echten Rothaarigen ein schöner, stiller Widerspruch. „Hier bin ich“, schien sie zu sagen, „und kann nicht anders als leuchten. Ob es nun passt oder nicht!“

In der Vergangenheit passte dieses vielschichtige Hobmeier-Leuchten vielen sehr gut ins Konzept, weshalb ihre private Achterbahn eher eine Bergbahn war. Nach einem demütigenden Vorsprechen an der Bayerischen Theaterakademie nahm sie die Folkwang-Schule in Essen, es folgten allerlei kleine Rollen, unter anderem in Peter Steins Expo-„Faust“. Für ihr Leinwanddebüt in Sören Voigts „Identity Kills“ wurde Hobmeier beim International Contemporary Filmfestival in Mexiko-Stadt als beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Sie eignet sich ihre absturzgefährdeten Glücksritterinnen an, als glaube sie ganz fest an deren Erfolg. Anschmiegsam und trotzig sind sie, zickig und lieb – und auch beim Untergehen noch so stark, dass man den Blick nicht von ihnen wenden kann. Ja, ihre Technik der Einfühlung ist vielleicht altmodisch, doch sie macht etwas möglich, was man im Theater selten erlebt: Dass man mit einem Menschen auf der Bühne bangt und mit ihm unglücklich wird. Vielleicht, weil sie sich in die Figuren da hineinwühlt, wo sie uns gleichen: „Jeder kennt ja den Mythos Lulu“, sagte Brigitte Hobmeier zu ihrer Rolle am Volkstheater, „doch ich habe einfach ein Mädchen zu spielen: eines mit einer ganz großen Energie, mit einer Sucht nach dem Lebensspiel“. So eines wird sie wohl auch selber sein.