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Archiv-Artikel

Das Sturgestein

Die taz will eine Kreuzberger Straße nach dem Studentenführer Rudi Dutschke benennen – ihr härtester Gegner ist CDU-Kreisverbandschef Kurt Wansner. Sein Kampf gegen die Rudi-Dutschke-Straße ist auch ein Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit der Volkspartei in Berlins alternativstem Bezirk

VON ULRICH SCHULTE

Manches hat Kurt Wansner früh klarer gesehen als all die Multikultiträumer, die ihn im Laufe der Zeit umzingelt haben. Er kann sich aufregen über die Typen in schwarzen Klamotten, die am Sonntagmorgen aus den schick renovierten Gründerzeithäusern am Chamissoplatz in Berlin-Kreuzberg treten, um auf dem Biomarkt einzukaufen. „Die haben uns früher mit dem Totschlagargument ‚Ihr seid rechts‘ platt gemacht. Jetzt leben die mit Ihresgleichen auf ihren Heile-Welt-Inseln. Das ist doch verlogen“, sagt Wansner.

In Friedrichshain-Kreuzberg, dem alternativsten aller Berliner Bezirke, würde einiges anders laufen – wenn man ihn ließe. Mit den Schulen, mit den Arbeitslosen, mit den Ausländern. Es gibt nur ein Problem: Kurt Wansner ist in der CDU. Genauer, er ist der Chef des christdemokratischen Kreisverbands in Friedrichshain-Kreuzberg. Der 59-Jährige, ein kleiner untersetzter Herr mit Glatze und Goldrand-Brille, muss sich in etwa so fühlen wie der PDS-Boss von Oberbayern.

Frierend steht Wansner vor einem Aldi-Markt am Moritzplatz. Es ist eine zugige und hässliche Ecke der Hauptstadt, und es läuft nicht gut. Wansner hat sich einen Packen Zettel unter den Arm geklemmt. Ab und zu macht er einen schnellen Schritt auf vorbeihastende Menschen zu – auf die grauhaarige Dame mit dem Trolley, auf drei türkische Mädchen – und fragt: „Darf ich Ihnen das zur Kochstraße mitgeben?“ Wansner sagt nicht dazu, dass er von der CDU ist. Die meisten winken auch so ab. Endlich stellt eine Frau ihren Leinenbeutel ab, greift einen Zettel und sagt: „Jawoll, her damit.“ Als sie das fett gedruckte „Ja für die Kochstraße“ liest, dreht sie ab und schiebt ihre kleine Tochter schnell in den Discounter: „Nee, ick bin für Dutschke.“

Die taz hatte vor zwei Jahren vorgeschlagen, die Straße, an der ihr Redaktionsgebäude – und pikanterweise auch das Springer-Hochhaus – liegt, nach dem Studentenführer Rudi Dutschke zu benennen. Das von Grünen, SPD und Linkspartei dominierte Kommunalparlament wollte die Idee per Beschluss umsetzen. Mit Kurt Wansner haben sie nicht gerechnet. Er machte den Kampf gegen die Umbenennung zum zentralen Projekt der Kreuzberger CDU. Sie haben 10.000 Protestunterschriften gesammelt, sind von Haus zu Haus, von Altenheim zu Altenheim gezogen. Am Sonntag wird ein Bürgerentscheid Klarheit bringen.

Glücksfall Dutschke

Die Rudi-Dutschke-Straße war ein Glücksfall für Wansner. Und für die taz. Beiden bringt der Kampf um die Umbenennung Aufmerksamkeit. Wie ein seltsames Eislaufpärchen kreisen beide seit Monaten umeinander und drehen immer wildere Pirouetten, wobei die politischen Ideen mitunter bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Die taz schreibt seitenweise über Christdemokraten, Wansner beginnt Pressemitteilungen mit dem Satz „Der Kampf geht weiter!“, den Rudi Dutschke einst am Grab des RAF-Mitgliedes Holger Meins sagte.

Es kommt öfter vor, dass Kurt Wansner die Dinge durcheinander geraten. Der Kreuzberger sitzt seit 1995 im Berliner Landesparlament, er ist seit sechs Jahren der Integrationsfachmann seiner Partei – wohl weil er Kreuzberger ist. Kurz vor Silvester sandte Wansner deshalb den Berliner Muslimen „herzliche Grüße und Glückwünsche“ zum Zuckerfest. Dumm nur, dass das Zuckerfest bereits Ende Oktober nach dem Ramadan gefeiert wurde, zum Jahreswechsel stand das Opferfest an.

Vielleicht kommt Kurt Wansner einfach nicht mehr mit. Erst haben ihn die Linken und die Ausländer umzingelt. Als Kreuzberg und Friedrichshain 2001 zu einem Bezirk verschmolzen, kamen auch noch die Ossis dazu. Die Grünen stellen den Bürgermeister, die PDS fährt fast 17 Prozent der Stimmen ein. Gut 23 Prozent der Einwohner sind Ausländer, die Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund und deutschem Pass liegt weit höher. Wansners CDU liegt bei 8,7 Prozent. Das Reich von „König Kurt“ – so nennen sie ihn im Kreisverband wegen seines straffen Führungsstils – ist auf wenige Straßenzüge zusammengeschnurrt. Auf schwarze Inseln in einem grün-roten Meer. Die Volkspartei CDU ist in Friedrichshain-Kreuzberg zur Randgruppe geworden.

Im Kommunalparlament machen die Linken alles unter sich aus. Die CDU-Fraktion ist gerade mal fünf Abgeordnete stark, und die sind völlig zerstritten. Zwei gegen drei. „Das ist ein chaotischer und völlig unorganisierter Haufen“, sagt ein Abgeordneter. Aber eigentlich ist das auch egal. Ob es um neue Ampelschaltungen geht, die Mädchensportförderung oder ein zu unterstützendes Hausprojekt, das Nein der CDU interessiert niemanden.

Die Dutschke-Straße verschafft dem Kreischef Wansner Öffentlichkeit, die er sonst selten bekommt. Wenn man Leute aus dem politischen Betrieb anruft, um etwas über Kurt Wansner zu erfahren, ist die Reaktion oft – Stille. Zwei, drei Sekunden. Dann kommt ein unterdrücktes Glucksen. Kurt Wansner ist im Machtgetriebe des eher unwichtigen Berliner Landesverbandes ein eher unwichtiges Rädchen, das manchmal etwas anders dreht als der Rest. Als „Mann der sinn- und zusammenhanglosen Rede“ charakterisiert ihn ein Abgeordneter der Gegenseite. „Er kann in einem Satz ein Dilemma produzieren, das unauflösbar ist.“

Eine Art Revoluzzer

Damit ist zum einen Wansners Redetechnik gemeint. Wenn der kleine CDU-Hinterbänkler im Berliner Abgeordnetenhaus ans Pult tritt, macht sich in den Reihen der anderen Fraktionen Heiterkeit breit. Er schachtelt Sätze in abenteuerlicher Weise ineinander, manche verlieren sich ohne Ende und Sinn irgendwo unter der Glaskuppel des einstigen Preußischen Landtags.

Zum anderen geht es um Wansners politische Programmatik. Wansner wird in Artikeln gerne als „CDU-Hardliner“ bezeichnet, der Elektroschockgeräte für die Polizei fordert, 1999 eine Aufkleber-Aktion der Jungen Union unterstützte, die mit dem Slogan „Deutschland muss in Kreuzberg erkennbar bleiben“ warb, und der es 2001 ablehnte, mit der „SED-Nachfolgepartei“ auch nur zu reden. Im Parlament fragt er schon mal die zuständige Senatorin, was es kostet, Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien zu versorgen. Das klingt verdächtig nach „Das Boot ist voll“. Das ist der eine Wansner.

Der andere sagt bei einem Kaffee in einer türkischen Bäckerei Sätze, die auch aus dem Munde eines Kiez-Sozialpädagogen kommen könnten. „Wir bieten den jungen Leuten ja keine Perspektive. Es ist doch klar, dass die türkischen oder arabischen Jungs frustriert sind.“

Wenn Wansner am Moritzplatz steht, winkt er türkischen Händlern zu, hält mal hier, mal da einen Plausch. Im Wahlkampf haben ihn türkische Gewerbetreibende unterstützt, er hat türkischstämmige Politiker auf die Bezirksliste gehievt. Auf seine Art ist Kurt Wansner ein Kreuzberger Revoluzzer: Er hat die Migranten für die CDU entdeckt. Er sagt: „Ich musste selbst Integration erst lernen.“

Fragt man den Hardliner mit Widersprüchen nach ebendiesen, lächelt der gelernte Maurer sie weg und erzählt schnell eine harmlose Anekdote. Zum Beispiel, wie toll damals alle Nationalitäten auf dem Bau zusammen rangeklotzt haben. Sein Lächeln ist breit, darin erinnert er an Dieter Hallervorden, und es verdeckt leicht, dass Wansner immer mal wieder Schwache gegen Schwache ausspielt.

Ein weiteres Problem Wansners ist, dass ihm allmählich die Themen ausgehen. Die Krawalle am 1. Mai, gegen die Wansner im Innenausschuss mit Begeisterung anwetterte, sind inzwischen kaum der Rede wert. Seine Analyse zur Arbeitsmarktpolitik klingt in einem Bezirk mit einer Arbeitslosenquote von 19 Prozent etwas altertümlich. „Wenn man den Leuten keine Arbeit bietet, nimmt man ihnen ihre Existenz und ihr Selbstwertgefühl – das ist das wichtigste Thema überhaupt“, sagt Kurt Wansner. Im hochverschuldeten Berlin haben sich sogar Senatoren längst offiziell von einer niedrigen Joblosen-Quote verabschiedet, in Kreuzberg ist sie Illusion. Das Kreuzberg, in dem Kurt Wansner seine Maurerlehre abschloss, war ein Arbeiterbezirk. In den 80er-Jahren wurde es zur revolutionären Enklave, in der 68er und Punks nach der perfekten Lebensform suchten. Heute häufen sich in den Straßen um den Landwehrkanal die Gegensätze.

Manche Kieze verarmen, in anderen liegen die Mieten längst auf dem Niveau von Hamburg. Hier haben sich gut verdienende Akademiker in ihren Altbaulofts eingerichtet und bezahlen Temposchwellen für die baumgesäumten Kiezstraßen selbst, weil der Bezirk pleite ist. „Deren Lebenstraum von Multikulti hat nicht funktioniert, jetzt bleiben sie in ihren Kiezen lieber unter sich“, sagt Wansner.

Dann nimmt er in der Bäckerei den letzten Schluck Kaffee und stemmt sich hoch. Er muss los, der Kampf geht weiter. Wansner, der König ohne Königreich, möchte wieder vor dem Aldi Zettel gegen die Dutschke-Straße verteilen. Denn heute kommen die Leute, weil die neuen Sonderangebote in die Filialen gekommen sind. „In meiner Partei“, ruft Wansner zum Abschied, „bin ich ein Linker.“