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Archiv-Artikel

Alles nur, weil ich dich liebe

BEWEISE Wie demonstriert man anderen seine grenzenlose Zuneigung? Fünf sonntaz-AutorInnen erzählen, wie sie das ganz wortlos versucht haben

Klauen im UNO-Palast

Das Talent zum Diebstahl habe ich mit drei Jahren verloren. Ich klaute einem Mädchen im Kindergarten die Brille, weil meine Sehnsucht danach groß war. Da ich die Sehhilfe nicht absetzen wollte, fiel das meinen Eltern auf. Ich musste die Beute zurückbringen. Dieser Gang nach Canossa durch den Vorgarten war die Heilung. Weitere kriminelle Taten waren nicht vorstellbar.

Bis ich an einem sonnigen Herbstmittag in der Kantine des UNO-Palasts in Genf saß. Ich dachte an einen Mann und daran, was ich ihm mitbringen könnte. Ich mag ausgefallene Souvenirs. Das Tablett unter dem Teller mit Kroketten sah gut aus. Grau marmoriert mit goldenem UNO-Logo. Genau das musste es sein. Doch diesen Coup galt es zu planen, befand ich mich doch an einem gut bewachten Ort.

Am nächsten Morgen stopfte ich meine Reisetasche in den Rucksack. Darin würde ich mein Raubgut verbergen. Mittags, in der Kantine, guckte ich harmlos. Plötzlich stand mein Chef neben mir. „Zusammen essen?“, fragte er. „Gern“, sagte ich. Nun musste ich schlau sein. Ich nahm zwei Tabletts übereinander vom Stapel, redete, lachte. Beim Essen kramte ich unter dem Tisch. Dann nahm ich das untere Tablett und legte es auf die Bank neben mich. Redete, lachte. Mit einer präzisen Handbewegung streifte ich die Reisetasche über das Tablett. Herzklopfen. Das Brückenexperiment: Liebe und Angst, alles das Gleiche. Geschafft. Jetzt raus! Durch die Sicherheitsschranke, vorbei an den Sicherheitstypen, raus! „Mission accomplished“ tippte ich in mein Telefon.

Nach einer Minute piepte es. „Yes, woman! Der Scheiß-Tom-Cruise ist ein Hundedreck gegen dich.“ Herrlich, der Kerl wusste nicht mal, worum es ging – und hatte verstanden. JANA PETERSEN

Operation Reifenpapst

Die Frau, die ich liebe, ist Diplomingenieurin. Sie kann Dinge, bei denen ich versage. Tischplattenverschraubung, Hängetrocknermontage, Toasterreparatur. Wenn ich auf den Lichtschalter drücke und die Birne knallt durch, schaut sie mich mit einem liebevollen War-doch-klar-Blick an. Sie sagt dann: „War doch klar.“ Neulich hat sie so einen Experten im Radio angerufen, der sich Autopapst nennt. Die zwei hielten einen Expertenschwatz, von dem ich nur noch das Wort Kraftstoffpumpenrelais behalten habe.

Ich kann höchstens ein Fahrrad flicken. Jedoch ist das wiederum das Einzige, was die Frau, die ich liebe, nicht kann. Das mache ich für sie. Zum Beweis, dass ich sie liebe. Und zum Beweis, dass sie keinen Versager liebt. Ich frage sie jedes Mal, ob sie das Vorder- oder das Hinterrad plattgefahren hat. Jeder weiß, dass Vorderräder nie plattgehen, aber ich will die Sache bedeutsam machen. Sie sagt dann: „Hinten.“ Und ich sage: „War doch klar.“

Ich lege mir das Flickzeug zurecht wie Operationsbesteck. Dazu Pumpe, Lappen, Eimer mit handwarmen Wasser. Ich inspiziere, löse die Muttern, hebe das Rad aus der Fassung und den Schlauch aus dem Mantel. Unter Wasser sprudelt es aus dem Leck. Trocknen, schmirgeln, ausreichend Vulkanisierflüssigkeit auftragen. Und – das machen viele falsch – fünf Minuten ziehen lassen. Flicken drauf, testen. Tipp vom Reifenpapst: Bevor man den Schlauch in den Mantel steckt, mit dem Lappen verbliebene Scherben herauswischen.

Neulich hat sie mich angerufen. Ich war zu spät, ich hätte bis 18 Uhr etwas abholen müssen. Vom Mechaniker. Mein Rad. Ich hatte es zu flicken versucht – vergeblich. Weil es eben nur aus Liebe geht. Sie: „Ich habe dein Rad für dich abgeholt.“ – „Oh, danke!“ – „War doch klar.“ GEORG LÖWISCH

Killerin im Mäusegarten

Ich töte Tiere. Das kommt, weil meine Freundin einen Schrebergarten hat. Dort leben rote Nacktschnecken. Denen erklärten wir den Krieg. Zuerst haben wir die Schnecken eingesammelt und im Park ausgekippt. Eine Maßnahme, die sich als Blödsinn herausstellte. Zur Killerin wird man nicht von einem Tag auf den nächsten. Im Fall der Nacktschnecken jedoch war der nächste Schritt nicht schwer. Mit kochendem Wasser wurden sie dem Kollektivtod zugeführt. Ich stellte mir diese Methode – nun ja – human vor. Mittlerweile ist der Humanismus roher Gewalt gewichen. Seh ich eine, schneid ich sie durch.

Neuerdings töte ich auch Säugetiere. Unser Garten ist in zwei Hälften geteilt. Die eine, die schönere, ist die meiner Freundin. Als der Schnee weg war, zeigte sich, dass ihre Seite besetzt war – von Wühlmäusen. Löcher überall, die Traubenhyazinthen abgefressen, der Aprikosenbaum umgekippt und Wühlmausvorratsnester mit Blumenzwiebeln ohne Ende. Nachdem meine Freundin ihre Gartenseite sah, wurde sie still. Seither weigert sie sich, dort einen Fuß hinzusetzen. „Ich würde weinen“, sagt sie. Das ertrage ich nicht.

Gegen Wühlmäuse hilft nur Gewalt. Killerfallen müssen her. Zuerst nur zwei. Und jedes Mal, wenn eine Maus drin ist, atme ich auf. Einmal hat es eine erwischt, gerade als sie mit aufgerissenem Maul ihre Zähne – nachwachsende Zähne übrigens – ins Fleisch der Schwarzwurzel schlagen wollte. Aber was sind zwei Fallen bei Wühlmäusen, die dreimal im Jahr eine Handvoll Junge werfen? Mittlerweile habe ich Gräben für ein Dutzend Fallen. Erst bei fünfzig Leichen will meine Freundin einen Neuanfang wagen. Ich bin ihr Soldat.

Mein Karma ist hin. Niemals werde ich als Mahatma Gandhi oder Bertha von Suttner wiedergeboren – eher als Wühlmaus. Aber dann, das ist klar, lass ich es richtig krachen. WALTRAUD SCHWAB

Ick hör dir trapsen

Am liebsten habe ich es, wenn mein Mann vor mir kniet und sich am Rohr zu schaffen macht. Endlich mal, dachte ich neulich. Da war nämlich schon ein ganz schöner Stau im Traps.

Der Traps, das ist dieses anmutig geschwungene Looping-Rohr unter der Spüle. Wenn man es abschraubt, ist man Intimitäten ausgeliefert, die einem den Atem rauben. Die Bezeichnung Traps ist vom englischen Wort „trap“, Falle, abgeleitet und meint in diesem Fall: Geruchsfalle. Diese geniale Erfindung, der man im Alltag oft zu wenig Beachtung schenkt, ist das Bindeglied zwischen Zivilisation und Abgrund, denn das darin stets stehende Wasser hält die Gerüche jener Kanalisation fern, in der das Spülwasser per Fallrohr landet – und eben nicht nur das Spülwasser.

In meinem Traps hatte sich jedoch eine Wanderdüne aus Kaffeesatz festgesetzt – so ahnte ich, traute mich jedoch nicht, Hand an das so geniale wie kompliziert verschraubte Rohr zu legen. Was, wenn ich es nicht mehr angeschraubt bekäme? Man müsste gar nicht mehr in den Hades hinabsteigen, er kröche einem fürderhin entgegen.

In den Tagen seiner Abwesenheit versuchte ich es daher mit den üblichen Strategien. Verdrängung etwa, doch irgendwann fängt die aufgestaute Brühe im Spülbecken auch ohne Verbindung zur Kanalisation an, komisch zu riechen. Der Einsatz eines Pömpels – auch „Saugfix“ genannt – erwies sich wiederum als zwecklos.

Ohne Man-Power war da nichts zu machen. Daher kniete nun mein Mann an einem Freitag zwischen leeren Flaschen und Krempel und schraubte, entfernte, stöhnte, durchspülte, ächzte – während ich gar nichts tun musste, außer mir die Nase zuzuhalten.

Liebe heißt, auch mal auf die Knie zu gehen. Und das nicht nur, um einen Heiratsantrag zu machen. MARTIN REICHERT

Im Schweinebratenland

Käsespätzle würden reichen, hatte ich zuerst gedacht. Auch Käsespätzle sind schließlich ein bisschen Bayern. Wir hatten sie in München gegessen, in diesen Biergärten mit den riesigen Schattenbäumen, als ich dort zur Schule ging. Jetzt saßen wir in der Kreuzberger Herr-Lehmann-Kneipe. Die Sonne schien. Die Kellnerin lächelte. Und meine Freundin bestellte einen Schweinebraten.

Ich bin Vegetarier, seit ich siebzehn bin. Ich weiß gar nicht mehr genau, warum ich damit angefangen habe. Ich wollte vor allem ausprobieren, ob das funktioniert. Vielleicht ging es auch ein wenig um ein Mädchen. Ich kannte die Bilder von Kühen, die an den Beinen aufgehängt und von Kränen auf Haufen geworfen wurden. Die eingepferchten Hühner. Die Antibiotika-Geschichten von den Schweinen. Ich hatte das immer trennen können von den gebratenen Fleischstücken, die auf meinem Teller lagen. Ich war ein Zufallsvegetarier, aus einer Laune heraus. Ich glaube, das Mädchen hieß Christina.

Dreizehn Jahre lang war ich Zufallsvegetarier gewesen. Und nun saßen wir in dieser Herr-Lehmann-Kneipe. Die Kellnerin brachte meiner Freundin den Schweinebraten. Mir die Spätzle. Es trennte uns etwas.

Meine Freundin stammt aus Niederbayern. Schweinebraten ist ihre Heimat. Ich bin ein Franke mit Berliner Mutter. Eine kulinarische Heimat habe ich nicht. Vielleicht vegetarisches Thali.

Es kann kein Zufall gewesen sein: Sie schaffte den Schweinebraten nicht ganz. Seltsam, dachte ich. Gerade jetzt, wo tolle Großautoren all diese Vegetarierbücher schreiben. Dann schnitt ich ins Fleisch.

Ein paar Wochen später saßen wir unter einem Apfelbaum in Niederbayern. Die Mutter meiner Freundin legte mir Schweinebraten auf den Teller. Ich aß. Es war gut. JOHANNES GERNERT