: Krankmacher der vierten Art
Ein falsch gefaltetes Prion kann zum Auslöser tödlich verlaufender Krankheiten werden. Die körpereigenen Eiweiße sind unter anderem bei der Entstehung des Rinderwahnsinns BSE, Creutzfeldt-Jakob, Scrapie und der Chronic-Wasting-Krankheit beteiligt
VON GISELA SONNENBURG
Es ist unheimlich. Es ist weder ein Virus noch ein Bakterium noch ein Pilz – und doch kann es anstecken und tödliche Krankheiten auslösen. 80 bis 120 Menschen sterben jährlich an ihm in Deutschland. Die Rede ist vom seit 1982 so genannten „Prion“, einer winzigen biologischen Einheit – so winzig, dass sie als einzelnes Molekül nicht sichtbar und auch biochemisch nicht nachweisbar ist.
Dabei handelt es sich beim Prion nicht etwa um ein Lebewesen oder gar Gift, sondern „nur“ um ein falsch gefaltetes körpereigenes Eiweiß, ein missgefaltetes so genanntes Prionprotein. Prionproteine sind biochemisch fassbare Einheiten und relativ große Moleküle; überall im Körper sind sie vorhanden, als eine Sequenz, die aus immer den gleichen über 250 Aminosäuren besteht. Und nur manchmal erkranken Prioneiweiße, vorzugsweise im Gehirn und Rückenmark, auf jene seltsame Weise, die dann zu BSE beim Rind, zu Scrapie beim Schaf oder – beim Menschen – zur Creutzfeldt-Jakob-Krankheit führt.
Es sind unheimliche Krankheiten, die scheinbar ohne Anlass ausbrechen, das Nervensystem erfassen und zu tödlichen Ausfällen der Nerven und Muskeln führen. Heilung ist nicht bekannt – zudem handelt es sich bei Prionkrankheiten laut dem Berliner Biochemiker Michael Beekes vom Robert-Koch-Institut (RKI) um „ein ganz neues biologisches Prinzip“. Sein Kollege Hans Kretzschmar von der Ludwig-Maximilians-Universität München ergänzt: „Es ist einmalig in der Natur.“
Durch Infektion – so durch Aufnahme infizierter Nahrung – oder durch „spontane Umfaltung“ eines ersten Moleküls setzt sich eine Kaskade weiterer Missfaltungen in Gang: Das kranke Prion animiert benachbarte gesunde Eiweiße, ebenfalls zu entarten. Erst ab einer bestimmten Menge sind die Krankmacher der vierten Art nachweisbar.
Die Raumstruktur dieser Moleküle behindert den Transport und Abbau der Substanz: Prione bleiben als vom Körper nicht zu zersetzende Hindernisse in den Bahnen. Und stören derart, dass die genannten Krankheitsbilder auftreten. Die Wissenschaftler um Beekes in Berlin und Kretzschmar in München forschen nun gemeinsam, um Prionen früh nachzuweisen. Dabei nutzen sie die 2001 von Claudio Soto entwickelte PMCA (Protein Missfolding Cyclic Amplification).
Die funktioniert so: Das Hirn eines Hamsters wird mit der Scrapie-Form des Proteins infiziert. Ultraschall regt das Wachstum des Krankmachers an. Dann gibt man neues, gesundes Hamsterhirn hinzu, beschallt erneut und wiederholt den Vorgang mehrfach. Am Ende kann man die Prionen nachweisen, obwohl sie ursprünglich in dazu zu geringer Menge vorhanden waren. „Das heißt“, so Hans Kretzschmar, „man kann jetzt in der Retorte die Prionen aufs etwa 200.000fache vermehren.“
Dabei wachsen Prione „wie Kristalle“, nämlich an den Enden stäbchenförmiger einzelner Partikel. Ultraschall ist daher wichtig: „Man vermutet, dass er die Stäbchen bricht, wodurch man mehr infektiöse Enden hat, die entarten können“, so Kretzschmar. Das gesunde Hirn, das hinzugefügt wird, lagert sich an solchen Endpunkten an, um ebenfalls zu erkranken.
Nützlich kann ein solches Nachweisverfahren in der Vorsorge sein: etwa um Nahrung auf Prionen zu untersuchen. Vor allem aber soll es dereinst Spenderblut vor Transfusionen überprüfen. Zwar ist die herkömmliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) vermutlich nicht auf diesem Weg übertragbar. Aber in Großbritannien gibt es eine neue Variante der CJK, die bevorzugt junge Menschen befällt – und da sind immerhin drei Fälle belegt, bei denen die Ansteckung via Bluttransfusion vonstatten ging.
Auch in der Zoologie gibt es eine neue Prionkrankheit: die Chronic Wasting Disease bei wild lebenden Hirschen in Kanada und den USA. Sie ist hochansteckend und der Schafkrankheit Scrapie vergleichbar. Diese wiederum ist die älteste Prionkrankheit: Erstmals beschrieben wurde Scrapie vor rund 250 Jahren. Entwicklungsgeschichtlich ist aber auch Scrapie noch jung. Die bakteriell bedingte Tuberkulose etwa ist älter als der Homo sapiens – und auch Viren und Pilze sind vom Prinzip her so alt wie das Leben selbst.
Und ohne menschlichen Pfusch wäre BSE vielleicht nie entstanden: Als Infektionsquelle gilt sicher die Verfütterung von infiziertem Tiermehl – zunächst von kranken Schafen – an Rinder. Und auch Katzen, sogar Tiger und Geparden können BSE-krank werden. Geht man nun davon aus, dass neue Formen von Prionenbildung möglich sind und damit auch weitere neue Krankheiten, ist die Forschung zur Erkennung und Abwehr besonders wichtig.
Doch seit die BSE-Hysterie sich legte, kommt immer weniger europäisches Geld zur Prionforschung. Beekes: „Da sind wertvolle Forschungsnetzwerke in Gefahr.“ Die Folge: „Viele Prionforscher gehen nach Übersee.“ Dabei ist gerade die Dauerhaftigkeit der Forschung grundlegend für ihren Erfolg. So ist noch ungeklärt, was genau Proteine zur Missfaltung bringt. Parallelen gibt es zur „Volkskrankheit“ Alzheimer – nur entarten da andere Eiweiße, nicht die Prionproteine. Aber auch bei der Altersdemenz stören in der Faltung veränderte Proteine als Ablagerungen, so genannte Amyloid-Plaques, das Hirngeschehen.
An transgenen Mäusen wirkt Alzheimer sogar infektiös; der Tübinger Mathias Jucker injiziert dazu Hirnextrakt von Alzheimer-Toten in die Hirne lebender Mäuse. Doch während für Alzheimer genetische und Umweltursachen vermutet werden, nimmt man, wie Beekes erläutert, bei Prionen ein kaum beeinflussbares Prinzip zu ihrer Entstehung an: „den statistischen Zufall“.