Wiieder im Spiel

Mit der neuen Spielekonsole Wii macht Nintendo Playstation und Xbox Konkurrenz und besinnt sich dabei auf die Kernfunktion des Videospiels: schnelle, einfache und intuitive Unterhaltung – nicht nur für pickelige Daddler, sondern für die ganze Familie

VON ROMAN SCHMIDSEDER

Als Mitte der 90er-Jahre Virtual Reality in Mode kam, fand man in Spielhallen plötzlich eine neue Generation von Arcade-Spielen, die alles Bisherige in den Schatten stellte. Ausgelöst wurde der Sprung in die künstliche Realität durch Leistungssteigerungen der Hardware. Nun war alles anders: Als Spieler stand man nicht mehr einfach vor der Mattscheibe, bediente einen Joystick und hämmerte auf Knöpfe ein. Man war kein Außenstehender mehr, sondern befand sich mitten im Spiel – als Hauptdarsteller, als Held.

Zur Seite standen ihm dabei bizarre Geräte. Der Spieler kletterte auf eine Plattform in der Mitte eines hüfthohen Rings, setzte einen futuristischen Helm mit zwei kleinen Monitoren auf den Kopf und nahm ein frei bewegliches Kontrollinstrument zur Hand – und schon war er bereit für das intensivste Spieleerlebnis der damaligen Zeit. Jede eigene Bewegung übertrug sich in die virtuelle Welt: Machte man eine Drehung, sah man plötzlich von hinten den Gegner auftauchen; duckte man sich, ging der Polygon-Krieger in die Knie – all das geschah so dicht vor den eigenen Augen, dass die wirkliche Realität draußen blieb. Mit dem handfeuerwaffenförmigen Controller bediente man sein Waffenarsenal, manche der Systeme boten gar Gewehre mit echtem Rückstoß aus komprimiertem Kohlendioxid. Das Steuerungskonzept war intuitiv, Bewegungen brauchten keine Übersetzer mehr in Form von Sticks und Buttons. Motion Tracking transferierte jede Zuckung direkt ins System. Bis dieser Meilenstein der Spieleindustrie Einzug in die Wohnzimmer hielt, sollte es jedoch einige Zeit dauern.

Viel intuitiver, viel einfacher sollte die neue Nintendo-Konsole mit dem Arbeitstitel „Revolution“ als Nachfolger des in die Jahre gekommenen GameCube werden. Man wollte eine breitere Zielgruppe fürs Zocken begeistern – abseits der typischen Gamer-Klientel, die dem Klischee nach aus männlichen Teenagern mit Pickel und Fettfrisur bestand.

Dabei ist die zwar nicht revolutionäre, aber dennoch unkonventionelle Konsole Wii herausgekommen. Das Werbekonzept wurde komplett auf die neue Zielgruppe ausgerichtet, es erinnert an Apples minimalistische Attitüde – im Karton könnte auch ein macBook stecken. Die „Wii“ selbst könnte eine fehlgeleitete Retro-Designstudie zum Thema „Floppy Disk Drive“ sein.

Nintendo will damit den Markt für ältere Konsumenten – und Frauen – erschließen. Eine Studie des Softwareentwicklers Electronic Arts, der Werbeagentur Jung von Matt und dem Spieleheft GEE zeigt anschaulich den anvisierten Typ Zocker im fortgeschrittenen Alter mit Familie und Mehrpersonenhaushalt. Teens und Twens stellen nur ein Drittel der Spielergemeinde, der Rest ist älter. Immerhin jeder Fünfte hat bereits die zweite Lebenshälfte erreicht. Das reifere Zielpublikum hat meist schon eine längere Konsolen- oder Computerspielkarriere hinter sich. Immerhin liegen die Anfänge von NES und Gameboy bereits rund 20 Jahre zurück.

In der Geschichte Nintendos gab es bereits früher Versuche, bessere Darstellungs- und Steuerungssysteme zu entwickeln. Die Neuheiten waren meist wenig erfolgreich und blieben nicht lange am Markt. An den legendären „Zapper“ für das Nintendo Entertainment System (NES) können sich hartgesottene Fans noch erinnern – immerhin war die „light gun“ die erste Pistole, mit der man im Fernseher Enten oder Pixel-Terroristen erschießen konnte. „Duck Hunt“ gibt es übrigens auch für die Wii, der Controller ersetzt die Plastikkanone. Andere obskure Gimmicks wie der „Power Glove“, ein Datenhandschuh im Captain-Future-Look, oder später die Konsole Virtual Boy – inklusive 3-D-Monitorbrille auf einem Dreifuß – scheiterten. Durchsetzen konnten sich immer die einfacheren Spiele: Super Mario, Donkey Kong oder Zelda wurden zu Klassikern, die ganze Generationen von Daddlern bei Laune hielten. Mit dem einfachen Gamepad des NES – bestehend aus einem Steuerkreuz und zwei Knöpfen – ließen sich Welten erobern und Bösewichte schlagen.

Nintendo behauptet, dass jeder Wii bedienen kann. In Nintendos Träumen verbringt Oma zwar seit 20 Jahren ihre Nächte mit Super Mario vor der Konsole, doch in der Realität musste Oma lange warten, bis mit Wii ein Angebot abseits der übertechnisierten, Heavy-User-affinen Produkte von Sony und Microsoft in die Läden kam. Wii widersteht dem technologischen Wettrüsten mit Playstation und Xbox und besinnt sich auf die Kernfunktion des Videospiels: schnelle, einfache und intuitive Unterhaltung. Plus eine Prise Motion Tracking aus den Zeiten der Virtual Reality. Der Monitor-Helm, längst Ausrüstungsgegenstand von echten Soldaten des 21. Jahrhunderts, fehlt allerdings auch weiterhin. Das Geheimnis der neuen Bedienbarkeit ist vielmehr der Wii-Controller.

Die Fernbedienung im 80er-Jahre-Design (weiß, eckig, schnörkellos) spielt alle Stücke: Sie ist mit einem Sensor ausgestattet, der jede Bewegung des Spielers ins Spiel überträgt. Integriert ist auch ein kleiner Lautsprecher, der Sounds wie das Zischen einer Bogensehne oder den Schlag auf einen Tennisball ausgibt. Dabei ergeben sich ganz neue Gaming-Konzepte. Beispiel Tennis: Die virtuellen Player werden nicht mehr mit dem klassischen Tastenkreuz über den Bildschirm gejagt, die Bälle nicht mehr per Gamepad-Taste pariert. Mit dem Wii-Controller in die Hand fuchtelt man einfach mit seinem Schläger herum und hofft, einen Ball zu treffen – wie beim echten Tennis. Rückhand, Volley und Return finden sich also eins zu eins im Spiel wieder. Oder Boxen: Das Spiel wird auf der Wii zum schweißtreibenden Sport. Bewaffnet mit Fernsteuerung und dem Erweiterungs-„Nunchuk“ für die zweite Hand schlägt man auf den Gegner ein oder weicht dessen Attacken aus. Golf, Baseball und Bowling funktionieren ähnlich, wenn auch weniger intuitiv – Nintendo hätte gut daran getan, diese Spiele ausgereift auf den Markt zu bringen.

Ein innovatives Konzept hat Nintendo dagegen mit Mii vorgelegt. Mii kreiert persönliche Spielfiguren, die in den Minispielen mal als Hauptdarsteller, mal als Zuschauer fungieren. Die zahlreichen Veränderungsmöglichkeiten und das comichafte Aussehen der Avatare, dieser grafischen Stellvertreter des Spielers in der virtuellen Welt, machen Mii so sympathisch.

Die Investition in mindestens einen zusätzlichen Controller ist Pflicht, will man den Spielspaß wirklich ausreizen – was die 250 Euro kostende Konsole nochmal um bis zu 50 Euro teurer macht. Alleine vor dem Fernseher herumzuhopsen, sieht nicht nur doof aus, sondern macht zumindest bei den mitgelieferten Spielen wenig Spaß. Eine günstige Erweiterung bietet die Spielesammlung „Play“, die Nintendo mit dem zweiten Controller-Set verkauft. Hier werden wilde Kühe geritten, Angeln ausgeworfen und Laser-Hockey gespielt – die Minispiele sind ein netter Zeitvertreib, motivieren aber nur kurz. Das Kuhrennen etwa glänzt zwar mit lustigen Designelementen, das ewig gleiche Level ermüdet aber selbst ausdauernde Cowboys bald. Richtig genutzt werden die Features der Fernbedienung nur beim Angeln, das an das Magnetspiel aus Kindertagen erinnert, beim geschmeidig animierten Billard- und beim rasanten Pingpong-Match.

Resümee der mitgelieferten Spiele: Einem ersten kurzen Erstaunen über die neuen Möglichkeiten der Fernsteuerung folgt ziemlich schnell Langeweile. Bei teuren Kaufprodukten wie Super Mario Galaxy, Super Smash Bros. oder Zelda darf man von Nintendo jedenfalls einen höheren Suchtfaktor einfordern. Ob Wii eine Chance gegen die aufgerüstete Konkurrenz hat, wird vor allem daran hängen, ob es den Spiele-Entwicklern gelingt, die neuen Features kreativ auszuschlachten. Dann kann Wii eine gute und preiswerte Alternative zu Xbox und Playstation werden. Die verrückten Hasen von Rayman (siehe Kasten) lassen bereits jetzt ahnen, welches Potenzial in Wii schlummert.