: Zwischen Felsen und Wüsten
Man muss nicht spiritistisch veranlagt sein, um eine Reise durch die Indianerreservate des nördlichen Arizona mit Gewinn zu unternehmen. Es ist eine Reise zu anderen Dingen, als man erwartet – das Beste, was einem Reisenden passieren kann
VON THOMAS PAMPUCH
Second Mesa ist ein kleiner Ort, eher eine Kreuzung, mitten im Hopi-Reservat. Im einzigen Lebensmittelladen weit und breit verkauft hier ein junger Apache Sandwiches aus der Kühltruhe, die man in der Mikrowelle warm machen kann. Der Ort liegt am Fuß der zweiten Mesa, einem der drei Tafelberge, auf denen die Hopi, ein friedfertiger Indianerstamm, seit ein paar hundert Jahren leben. Sie sind Nachfahren der „Anasazi“. Den Begriff soll man laut Reiseführer nicht mehr benutzen und lieber „Ancient Pueblos“ sagen. „Anasazi“ ist Navajo und heißt „alte Feinde“. Das Volk gibt es zwar seit ein paar hundert Jahren nicht mehr, aber man kann Political Correctness ja auch historisch nachholen. Das Reservat der Navajos, das mit rund 70.000 Quadratkilometern den ganzen Nordosten Arizonas ausmacht, umschließt das kleine Hopi-Reservat auf allen Seiten, und die rund 10.000 dort lebenden Nachfahren der Ureinwohner kommen auch heute nicht gern von ihren grandiosen Felsentischen hinunter.
Also fahren wir hinauf zu ihnen und kommen in die „älteste, ununterbrochen bewohnte Siedlung der USA“, Old Oraibi, auf der Third Mesa. Wie in allen Hopidörfern herrscht hier Fotografierverbot, nicht einmal Zeichnungen darf man machen. Spaziert man durch das leere, staubige Dorf, fragt man sich, was hier überhaupt ein Foto wert wäre. Oraibi wirkt wie eine uninteressante Ansammlung von Behausungen aus Holz, Beton oder Stein, von Trailern, einigen Fernsehantennen und sogar ein paar Sonnenkollektoren. Alles ohne großen Reiz, aber in einer höchst reizvollen Umgebung: Was da hoch auf dem Felsplateau thront, würde jede andere Gemeinde zum Bau eines Panoramarestaurants veranlassen. In Oraibi hingegen hat man die Felswand in der Rebellion von 1680 dazu genutzt, um zwei spanische Priester hinunterzustürzen. Und heute stehen hier keine vermarktbaren Aussichtspunkte, sondern zwei hölzerne outhouses, Außenaborte. Es ist, als stünden sie symbolisch für eine andere Sicht auf die Welt. Hier zählen offensichtlich andere Dinge.
Konfliktlösung zum Beispiel. 1906 ist in Oraibi ein Disput zweier Häuptlinge um Land so gelöst worden: Mitten auf der Mesa wurde eine Linie gezogen und die Anhänger beider Führer drückten in einer Art umgekehrtem Tauziehen so lange gegeneinander, bis eine Gruppe – die des Häuptlings Tawa-quap-tewa – die Linie überquert hatte. Der Verlierer You-ke-oma zog mit seinen Leuten davon und gründete den neuen Ort Hoteville.
Die beiden älteren Damen, die wir beim Betreten des Dorfes treffen, eine vor der Küche beim Mahlen von Mais, die andere in ihrem kleinen Souvenirlädchen mitten im Dorf, sind freundlich. Sie verkaufen – keineswegs billige – Kachinapuppen von Hopigeistern, kleine „Regenmacher“ aus Holz und Bindfaden, oder auch ihr merkwürdiges Blätterteigbrot piki, das aussieht wie getrocknete Algen und auch so schmeckt. Die Damen lassen nicht mit sich handeln, es ist ihnen egal, ob wir kaufen oder nicht. Sie ruhen in sich. Freundlich ist auch der ehemalige indianische Countrysänger, den wir beim Holzhacken treffen, und der uns sogar noch einmal in den Laden bittet, um uns dort ein paar Lieder vorzusingen und seine CDs zu verkaufen und zu signieren.
Wer an einem klaren Wintertag durch den großartigen Canyon de Chelly mitten im heutigen Navajoland reitet, leistet sich nicht nur ein exquisites Vergnügen, er taucht auch in eine verwirrende Geschichte ein, die sich in diesem überdimensionierten Korridor mit seinen roten Felswänden von hunderten Meter Höhe immer wieder fast schüchtern zu Wort meldet. Unser Navajo-Führer Tim zeigt uns die uralten Zeichnungen, die hoch im Fels kauernden cliff dwellings, Symbole und Reste vergangener Kulturen, lange vor den Navajos: Korbmacher, Pueblos, Hopi. Tim munkelt von deren kannibalischen Ritualen, und wir bekommen den Eindruck, dass die alten Feindschaften mit den Anasazi noch nicht gänzlich überwunden sind. Er erzählt aber auch von jüngeren Ereignissen, von Colonel Kit Carson etwa, der 1863 in diesem Canyon viele Navajos umbrachte und die Überlebenden auf den berüchtigten Long Walk nach Fort Sumner schickte, von wo sie erst vier Jahre später dezimiert zurückkehrten.
Geschichte bedeutet in den USA meist nicht viel mehr als die Vergangenheit der letzten 200 bis 300 Jahre. Im Canyon de Chelly bekommt man eine Ahnung, dass durch die (europäische) Eroberung des Westens vieles, was davor – oder bei den Opfern – geschah, verdrängt worden ist und erst langsam erforscht und entdeckt wird. Keineswegs nur Friedliches übrigens: Die Navajos etwa kreuzten in dieser Gegend erst Ende des 17. Jahrhunderts auf – auch sie als Eroberer.
Der Wind der weißen Eroberungsgeschichte umweht uns dann im Monument Valley. Seit John Ford hier mit John Wayne „Stagecoach“ drehte, ist es zu der Westernkulisse schlechthin geworden. Auf der 17-Meilen-Fahrt durch das Tal in der Abendstunde sind wir ganz allein mit den Marlboro-Monolithen, die wie die verworfenen Entwürfe aus der Werkstatt eines größenwahnsinnigen Kirchenbauers herumliegen – bizarr, grandios, kitschig, modern: Genau das, was Hollywood groß gemacht hat.
Das grüne Flagstaff – „They don’t build towns like this any more“ – ist der beste Abschluss einer Reise durchs Indianerland von Arizona. Eine Stadt wie ein guter Spät-Western, mit hohem Unterhaltungs- und Freizeitwert. Ein hübscher alter Stadtkern an der Route 66, zwei gediegene Traditionshotels mit dem wunderbaren Pub & Grill von Charly (hier darf man auch wieder Alkohol trinken, was im Reservat verboten ist) und das ausgezeichnete Museum of Northern Arizona. Der Manager vom Quality Inn heißt Peter Corbell und ist überzeugter Navajo. Er gibt uns das Manuskript seiner Memoiren mit dem schönen Titel „My long Walk“ zu lesen. Seine Mutter ist übrigens Nürnbergerin. Wieder so eine Überraschung.