: Wärme aus den Tiefen der Erde
GEOTHERMIE In Celle und Rotenburg (Wümme) versucht ein Investor, Mieter mit einer Energie-Flatrate in ein Sanierungsprojekt zu locken. Kritiker bemängeln ein intransparentes Verfahren
AUS CELLE JOACHIM GÖRES
So schnell kann Energiewende gehen: Mindestens die ersten 382 Mietwohnungen aus den 1960er-Jahren werden ab Juli in Celle und Rotenburg (Wümme) mit Erdwärme versorgt. Bei der Umstellung von Erdöl und Erdgas auf Geothermie, die bis September vollzogen sein soll, handelt es sich laut Christoph Trautsch, Vorstand der Deutschen Geothermischen Immobilien AG (DGI), um „das größte Sanierungsprojekt auf oberflächennaher geothermischer Basis in Europa“.
Deren Münchner Tochtergesellschaft DGI P1 hat nach eigenen Angaben in den Erwerb, die energetische Sanierung und den Wohnungsausbau mehr als 25 Millionen Euro investiert. Um die Bewohner von dem Vorhaben zu überzeugen, hatte das Unternehmen in Aussicht gestellt, mit einer sogenannten Energie-Flatrate die Heiz- und Warmwasserkosten auf dem bisherigen Niveau festzuschreiben – unabhängig vom künftigen Verbrauch. „Viele Mieter sind begeistert, dass sie trotz absehbarer Steigerungen der allgemeinen Energiekosten bei uns künftig für Wärme nicht mehr als bisher zahlen müssen“, sagt Trautsch. Erstmals sei es gelungen ein sozialverträgliches Modell für die energetische Sanierung durchzuführen, bei dem auch die bisherige Kaltmiete von knapp fünf Euro den Quadratmeter nicht erhöht werden soll.
Doch diese Zusicherung gilt nur für Mieter, die eine Ergänzungsvereinbarung zum bisherigen Vertrag unterschreiben. Darin verzichten viele Mieter auf den vertraglich zugestandenen Dachboden. Den will die DGI im Gegenzug bis 2015 in 127 neue Appartements umfunktionieren. Wer das allerdings nicht hinnehmen will, dem droht eine drastische Mieterhöhung: Bis zu elf Prozent der Modernisierungskosten können laut Gesetz auf den Mieter umgelegt werden, das entspräche laut DGI einer monatlichen Erhöhung von rund 200 Euro.
Laut Unternehmen betreffe das aber nur ganz wenige Personen, denn 99 Prozent der aktuellen Mieter hätten der Ergänzungsvereinbarung zugestimmt. Kritiker des Projekts hatten das Vorgehen der DGI erpresserisch genannt. Doch diesen Vorwurf weist das Unternehmen zurück: Es handele sich vielmehr um ein „Geben und Nehmen“.
Fachleute sehen das Trautsch-Modell dennoch skeptisch. „Wenn die letzte Betriebskostenabrechnung als Grundlage für die sogenannte Energie-Flatrate genommen wird, dann ist das sehr willkürlich“, sagt Olaf Schröder, Architekt vom Lindener Baukontor aus Hannover. Denn je härter der Winter sei, umso höher werde der Verbrauch und damit die Ausgaben. Schröder verweist darauf, dass Vermieter grundsätzlich geringere Heizkosten an die Mieter weitergeben müssten.
Bei einer energetischen Sanierung könnten bestimmte Kosten auf den Mieter umgelegt werden, aber diese Kosten müssten genau nachgewiesen werden. „Die DGI spricht von umlagefähigen Kosten, spart sich aber deren Nachweis und drängt die Mieter, eine Zusatzvereinbarung zu unterschreiben“, so Schröder. Der Architekt kritisiert das ganze Verfahren als „intransparent“. Die DGI tue so, als ob die Energiekosten für Heizung und Warmwasser festgeschrieben würden – tatsächlich müsste dabei aber auch der Betrieb der Wärmepumpe berücksichtigt werden, die dafür sorgt, dass die Wohnungen mit Erdwärme beheizt werden. Der für den Betrieb der Wärmepumpe nötige Strom wird laut Ergänzungsvereinbarung auf die Mieter umgelegt. Dabei handele es sich um zusätzliche Kosten, die es bisher gar nicht gab.
Susanne Schönemeier vom Deutschen Mieterbund Hannover rechnet vor, dass eine Familie mit einem Kind, die in einer 70 Quadratmeter großen Wohnung lebt, mit etwa 220 Euro Betriebskosten im Monat kalkulieren muss. Das entspricht mehr als drei Euro pro Quadratmeter. „Das liegt über dem Betriebskostenspiegel“, sagt sie. Hinzu kommen ab dem Jahr 2024 auch die Wartungskosten der Wärmepumpe. „Wir sind für Modernisierung und Geothermie, aber wir sehen es als problematisch an, dass man die Betriebskosten für die Wärmepumpen auf die Mieter abwälzt“, so Schönemeier.
Frank Stork vom Mieterverein Rotenburg befürchtet, dass die Betriebskosten für die Anlage angesichts steigender Stromkosten den Geothermie-Effekt wieder auffressen. Der Sprecher des Bundesverbandes Geothermie Gregor Dilger, sieht das Projekt in Celle und Rotenburg als Chance, erste Erfahrungen zu sammeln und will erstmal abwarten, bevor er das Konzept bewertet. Auch andere Kommunen verfolgen das Geothermie-Projekt mit Interesse. Denn die Festschreibung der Heizkosten könnte auch bedeuten, dass sie künftig weniger Energieausgaben für Sozialhilfeempfänger übernehmen müssen. Die DGI prüft derzeit weitere 15 Standorte.
Nach DGI-Berechnungen könnten bundesweit zwölf Millionen Haushalte mit Erdwärme versorgt werden. Trinkwasserversorger befürchten, dass geothermische Bohrungen das Grundwasser verunreinigen könnten und fordern deshalb ein grundsätzliches Bohrverbot in Trinkwassergewinnungsgebieten. In Norddeutschland machen die rund 15 Prozent der Gesamtfläche aus.
7. Norddeutsche Geothermietagung: 15. und 16. Oktober im Geozentrum Hannover mit Informationen rund um die Erdwärme-Nutzung. Infos: www.norddeutsche-geothermietagung.de