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Archiv-Artikel

Bis der Kopf zu brummen beginnt

SPEKTAKEL Während in Garmisch die Alpinen im medialen Blitzlichtgewitter um Medaillen kämpfen, fahren die Skicrosser in Übersee unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und hoffen, dass sich das bald ändern möge

„Es geht im direkten Duell gegeneinander – schon im Starthaus kann man die anderen schnaufen hören“

HEIDI ZACHER, SKICROSSERIN

VON CHRISTIAN AICHNER

Sie sind schnell, sie sind spektakulär, sie sind erfolgreich, sie sind sogar olympisch – und dennoch stehen die Skicrosser im Schatten der Alpinen, die gerade in Garmisch-Partenkirchen um Weltmeisterschaftsmedaillen fahren. Aber Heidi Zacher kann das verstehen. „Neidisch bin ich nicht. Klar ist da viel mehr los als bei uns, aber das ist ja auch eine Heim-WM“, sagt die erste deutsche Weltcupsiegerin und aktuelle Weltcupführende, „aber die Stimmung war auch bei unserer WM gut.“

Die fand vor zehn Tagen in Deer Valley im US-amerikanischen Bundesstaat Utah statt – quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur der Bezahlsender Eurosport2 übertrug die Rennen. Auch der Weltcup am vergangenen Wochenende im kanadischen Blue Mountain kam in der Presse hierzulande nur als Randnotiz vor – obwohl Zachers Kollegin Anna Wörner das Rennen gewinnen konnte.

Ganz anders war das noch vor gerade mal einem Jahr in Vancouver. Mit der Premiere der Sportart bei den Olympischen Spielen 2010 ist Skicross bekannt geworden. Die Zuschauerzahlen waren damals überraschend hoch, in der Spitze sahen über 6 Millionen zu, als sich jeweils vier Kontrahenten gleichzeitig in den Parcours stürzten. In diesem Jahr nun richtete der Internationale Skiverband (FIS) zum ersten Mal auch in Deutschland einen Skicross-Weltcup aus. Eine Woche vor der WM kamen knapp 4.500 Zuschauer nach Grasgehren im Allgäu, das ZDF berichtete ausführlich.

Anders als bei den Alpinen geht es beim Skicross nicht um die schnellste Zeit, sondern im direkten Duell um den Sieg. „Es ist wie beim Biathlon-Massenstart oder der -Verfolgung. Der Zuschauer sieht direkt, wer vorne liegt“, sagt Heli Herdt, sportlicher Leiter der Skicrosser im Deutschen Skiverband (DSV). „Das ist der einfachste Skisport und kurzweiliger als die alpinen Wettbewerbe. Erfolg und Misserfolg liegen bei uns besonders nah beieinander“, ergänzt er.

Skicross hat sich in der Wintersportszene aber noch nicht etabliert. Während die alpinen Topverdiener wie Maria Riesch in einer Saison mehrere hunderttausend Schweizer Franken an Preisgeldern einfahren können, müssen sich die Skicrosser mit weit weniger begnügen. Pro Weltcup werden 15.000 Schweizer Franken ausgefahren – verteilt auf die besten Zehn. Das reicht bei zehn Weltcup-Rennen im Winter kaum zum Leben.

Zacher arbeitet auch deshalb hauptberuflich als Bankkauffrau. Erst vor vier Jahren, nach einem Kreuzbandriss, wechselte die 22-Jährige vom alpinen Nachwuchskader zu den Skicrossern: „Es geht im direkten Duell gegeneinander, schon im Starthaus kann man die anderen schnaufen hören“, erklärt sie ihre Leidenschaft. Auch Körperkontakt ist erlaubt. „Zum Gewinnen braucht’s aber viel Taktik. Man muss schon wissen, wie man an den anderen vorbeikommt“, sagt Zacher. Es geht also nicht nur um möglichst breite Schultern, sondern auch um Köpfchen.

Zachers Doppelleben zwischen Bank und Piste funktioniert gut. Ihr Arbeitgeber, die Raiffeisenbank Tölzer Land, stellt die 21-Jährige für die Wettbewerbe frei. So wie für die WM. Dort habe sie „nach den guten Weltcupergebnissen schon auf eine Medaille gehofft.“ Aber bereits im Viertelfinallauf lief nicht alles reibungslos: Zacher stürzte gemeinsam mit ihren drei Gegnerinnen beim ersten Sprung und landete nach einem ungewollten Salto vorwärts im Fangnetz.

„Ich bin froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist, das hätte auch anders ausgehen können“, sagt Zacher. Ihr Brustwirbel hatte sich verschoben, ihr Kopf brummte. Ans Aufgeben dachte sie trotzdem nicht: „Im Skicross geht’s gleich weiter, da muss man schnell wieder aufstehen, man hat ja immer eine Chance.“ Die nutzte sie und gewann den Lauf doch noch. Zacher trat auch im Halbfinale an, stürzte aber erneut. Am Ende wurde sie als beste Deutsche Gesamtsiebte.

Die zweite deutsche WM-Starterin, Anna Wörner, sowie die vier Skicross-Männer schieden bereits in ihrem ersten Lauf aus. Dennoch hält sich die Enttäuschung beim DSV in Grenzen. „So ist das eben im Skicross. Uns hat das nötige Quäntchen Glück für eine vordere Platzierung gefehlt“, sagte Herdt. Die Perspektive ist eh eine andere: „Wir nehmen Erfolge gerne mit. Aber unsere WM-Mannschaft ist noch sehr jung, keiner ist älter als 25. Unser Ziel ist Olympia 2014.“

Bis dahin wollen sich die Deutschen in der Weltspitze festgesetzt haben, in Sotschi sollen die ersten Medaillen eingefahren werden. Dann werden auch die Öffentlich-Rechtlichen wieder live berichten. Vielleicht hat Zacher dann schon genug Weltcupsiege eingefahren, um ihre Stelle bei der Raiffeisenbank aufgeben zu können – und dann noch ein wenig schneller zu sein.