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Archiv-Artikel

Der Aufstand des Nordzwergs

Mecklenburg-Vorpommern machte 2006 keine neuen Schulden. Rezept: boomende Werften und weniger Förster

BERLIN taz ■ Mecklenburg-Vorpommern ist es gewohnt, Schlusslicht zu sein. Dort gibt es die bundesweit höchste Arbeitslosenquote und kaum Industrie. Doch jetzt steht das Land plötzlich auf einem Spitzenplatz. Zusammen mit Bayern und Sachsen musste es 2006 keine neuen Kredite aufnehmen. Damit ist Schwerin im Rennen gegen steigende Verschuldung ganz vorne mit dabei.

Die Politiker in Schwerin sind in unterschiedlichem Ausmaß stolz. Während Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) Superlative wie „historisch“ bemüht, ist seine Finanzministerin Sigrid Keler (SPD) zurückhaltender. „Ich freue mich sehr, dass uns das gelungen ist“, sagte sie gegenüber der taz. „Schließlich kämpfe ich seit zehn Jahren dafür, die Neuverschuldung zu senken.“ Durch das Wegfallen neuer Schulden sind ab jetzt pro Jahr 15 Millionen Euro weniger Zinsen fällig.

Und auch zwei der bedeutendsten Experten für den Aufbau Ost applaudieren. Helmut Seitz von der Uni Dresden und Joachim Ragnitz vom Wirtschaftsinstitut Halle (IWH) konstatieren unisono, „dass Mecklenburg-Vorpommern eine sehr gute Wirtschaftspolitik macht“. Beide loben ausdrücklich auch die Linkspartei.PDS. Denn diese regierte bis zum Herbst 2006 mit der SPD. Nach der Wahl erkoren die Sozialdemokraten die CDU zum Partner.

Ein Wunder hat Rot-Rot allerdings nicht vollbracht. Das Wirtschaftswachstum lag 2006 deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Doch den Werften geht es relativ gut. In Rostock hat die Neptun GmbH bis 2010 Aufträge für Kreuzfahrtschiffe, die Volkswerft in Stralsund schraubt bis 2008 noch an riesigen Containertransportern. Insgesamt konnte das Land 300 Millionen Euro mehr Steuern als erhofft einnehmen. Diese nutzte Schwerin, um die ursprünglich geplante Neuverschuldung von 400 Millionen Euro auf 100 Millionen zu drücken.

Durch das derzeit relativ niedrige Zinsniveau spart Schwerin weitere 62 Millionen Euro ein. Wirklich selbst gekürzt hat die Landesregierung in Schwerin etwa 50 Millionen Euro – denn seit 2004 baut sie verstärkt Stellen ab. Zuvor hatte sie untersuchen lassen, wo im Vergleich zu armen westdeutschen Bundesländern zu viel fürs Personal ausgegeben wird. Seither durchstreifen immer weniger Förster die mecklenburgischen Wälder.

Kürzen nach Konzept – dies ist nach Ansicht der Wirtschaftsexperten Seitz und Ragnitz das Erfolgsrezept Schwerins. Als negatives Beispiel führen sie das viel wirtschaftsstärkere Thüringen an. Dort scheuen der öffentlich gern als Reformer auftretende Dieter Althaus und seine allein regierende CDU einen Kurs wie in Schwerin. Zu groß ist die Angst, die eine Stimme Mehrheit im Parlament zu verlieren.

In Mecklenburg-Vorpommern sollen hingegen knapp 9.000 Stellen bis 2009 wegfallen. Die Hälfte davon ist bereits gestrichen. Keine Entlassungen habe es gegeben, beteuert die Finanzministerin – entweder wickelte man die Stelle per Teilzeit oder aus Altersgründen ab. Obwohl dies auch Lehrer betrifft und in ländlichen Gegenden immer wieder Schulen geschlossen werden, schimpft sogar die sonst so streitlustige Bildungsgewerkschaft GEW nicht. „Das Land hat im Vergleich zur Wendezeit etwa die Hälfte seiner Schüler verloren“, sagt Joachim Ahrend von der GEW, „da wäre es schwierig, die Lehrerzahl konstant zu halten.“ Scharf kritisiert allerdings der Studentenverband fzs das Streichen beim Uni-Personal.

Auf die Mittel aus Solidarpakt und Finanzausgleich kann das Land dennoch nicht verzichten. „Natürlich sind wir noch auf die Solidarität der alten Länder angewiesen“, sagte Keler der taz. „Unser guter Haushaltsabschluss beweist aber unser Bemühen, diese Mittel zweckentsprechend einzusetzen.“ Mit 1,1 Milliarden Euro machen allein die Mittel aus dem Solidarpakt II ein Siebentel des gesamten Haushalts aus. Allerdings gibt das Land dieses Geld tatsächlich zu 90 Prozent für neue Investitionen aus und nicht dafür, die Schuldenlöcher zu stopfen.

Künftig gilt das Ziel: die Schulden bei 10 Milliarden einfrieren. In den nächsten Jahren werden die Ost-Länder immer weniger Geld aus dem Solidarpakt erhalten. 2019 hören die Zahlungen auf. Schwerin will seine Ausgaben immer genau so weit drosseln, dass es keine Kredite mehr aufnehmen muss.

DANIEL SCHULZ