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Archiv-Artikel

Unterlassene Hilfeleistung

Der Bremer Senat verweigerte dem in Bremen aufgewachsenen Türken Murat Kurnaz über Jahre jegliche Unterstützung. Stattdessen bemühte man sich, die Wiedereinreise zu verhindern

von KLAUS WOLSCHNER

Wäre es nach dem Bremer Innensenator gegangen, hätte Murat Kurnaz auch nach seiner Freilassung 2006 nicht nach Hause kommen dürfen – obwohl der 2001 nach Guantánamo verschleppte junge Mann mit türkischem Pass in Bremen geboren und aufgewachsen ist. Schon früher hat der Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Matthias Güldner Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) kritisiert, er führe „nahtlos die Willkürpolitik des amerikanischen Präsidenten im Umgang mit den Guantánamo-Häftlingen fort“. Doch einen Grund, seine damalige Handlungsweise in Frage zu stellen, sieht Röwekamp auch heute nicht.

Inzwischen ist bekannt, dass der Innensenator nicht auf eigene Initiative gehandelt hat. Zwar hatte sich nach dem Besuch von BND und Verfassungsschutz in Guantánamo im September 2002 bestätigt, dass Kurnaz nur „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen sei. Dennoch lehnten Kanzleramt und BND eine Einreise nach Deutschland für den Fall seiner Freilassung ab.

Schon am 30. 9. 2002 entstand in Berlin der Plan, die Aufenthaltserlaubnis von Kurnaz für erloschen zu erklären. Das wurde dem Bremer Innensenator im Mai 2004 mitgeteilt. Der handelte prompt: Am 12. Mai 2004 wies Röwekamp die Ausländerbehörde an, eine entsprechende Speicherung im Ausländerzentralregister zu veranlassen.

Im Rechtsstreit um diese Maßnahme sollte das Innenressort später vor Gericht vortragen, der Gesetzgeber habe „zur Vermeidung unnötiger Härten“ im Gesetz keine einschlägigen Ausnahmetatbestände zugelassen: Bei Kurnaz habe „eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes ins Ausland stattgefunden“, die Gründe dafür seien unerheblich.

Der CDU-Innenpolitiker Rolf Herderhorst verteidigte 2004 seinen Innensenator noch mit den Worten: „Kurnaz ist ein mutmaßlicher Talibankämpfer, der unter Terrorverdacht steht.“ Der Grünen-Abgeordnete Güldner warf Röwekamp vor, er habe die Parlamentarier damals regelrecht „belogen“, was die Erkenntnisse über Kurnaz anging. Das ist die Zeit, in der Amnesty International um einen Gesprächstermin mit Bremens Bürgermeister Henning Scherf nachsuchte – Scherf lehnte dies strikt ab.

Auch nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts im November 2005, das Kurnaz’ Aufenthaltsgenehmigung für weiterhin gültig erklärte, hielt das Außenministerium an seiner Position fest und mailte nach Washington, das bedeute nicht, dass man Kurnaz „unbedingt gerne haben würde“.

In einer Bürgerschaftsdebatte musste sich Innensenator Röwekamp im Dezember 2005 dazu verhalten. Er versteckte sich hinter der Ausländerbehörde: Die sei „der Auffassung, dass das Aufenthaltsrecht des Betroffenen erloschen ist“. SPD und CDU lehnten die Aufforderung der Grünen ab, sich für Kurnaz’ Freilassung einzusetzen.

Bis Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) im August 2006 verkündete: „Ich bin sehr erleichtert, dass Murat Kurnaz endlich aus dem Gefangenenlager Guantánamo entlassen worden ist und nach Jahren der Sorge, Einsamkeit und quälender Ungewissheit zu seiner Familie zurückkehren kann.“