Polizist verspricht wundersame Geldvermehrung : AKW steht für Betrug
„Man hat uns bündelweise das Geld auf den Tisch gelegt“, erklärte einer der Angeklagten vor Gericht
Es ist das alte Märchen vom Stroh, das sich zu Gold spinnen lässt. Diesmal trug es den Titel „Einkaufsgemeinschaft Alternative Kollektive Wertschöpfung“ (AKW) und versprach Gutgläubigen, aus 250 Euro innerhalb von gerade mal drei Monaten bis zu 650 Euro zu machen. Das Ganze war als Schneeballsystem geplant, das nur funktioniert, wenn immer neue Kunden Geld einzahlen – also eigentlich nie. Zweieinhalb Jahre existierte die AKW. Im Oktober 2005 brach sie zusammen und hinterließ einen Schaden von 2,4 Millionen Euro. Etwa 1.000 Menschen, die dem vermeintlichen Goldesel vertraut hatten, verloren ihr Geld. Wegen progressiver Kundenwerbung und Betruges verurteilte das Landgericht deswegen am Montagabend die beiden Initiatoren Jens B. und Manfred G. zu vier beziehungsweise zweieinhalb Jahren Haft.
Im April 2003 meldete sich Polizeikommissar Jens B. wegen Krankheit dauerhaft von seinem Dienst ab – und baute seine Einkaufsgemeinschaft auf. Als Geschäftspartner gewann er den 45-jährigen Augsburger Manfred G. Der Kommissar kannte den solargebräunten Augsburger mit dem schütteren, schwarz gefärbten Haar von seiner früheren Nebentätigkeit als Marketing-Manager bei einem anderen Schneeballsystem namens „Titan“.
Gemeinsam entwickelten die beiden folgende Offerte: Nach der Zahlung von 250 Euro sollten die Kunden nach einer dreimonatigen „Wertschöpfungszeit“ das Anrecht auf Waren und Dienstleistungen im Wert von bis zu 650 Euro erwerben. Als Gemeinschaft könne man einen höheren Rabatt aushandeln, begründeten sie dieses Wunder. „Man hat uns bündelweise das Geld auf den Tisch gelegt“, sagte Manfred G. in seinem Geständnis. Zum Schluss hatte die Einkaufsgemeinschaft Filialen in Osnabrück, Leipzig, Rostock und mehrere in Berlin, davon drei nur für russische Kunden, so der Leiter der „AG Schneeball“ bei der Polizei, der als Zeuge aussagte.
Doch in Wahrheit ging es der AKW nicht um die Aushandlung traumhafter Rabatte. Und bei der Warenbeschaffung versuchte man nicht, die Wünsche zu bündeln, sondern orderte individuell bei den vom Kunden angegebenen Händlern, sagte eine Mitarbeiterin dem Gericht. Selbst bei der ausschließlichen Zusammenarbeit mit einem Reisebüro erzielte man wesentlich geringere Rabatte als die angestrebten 60 Prozent. Stattdessen warb die AKW Mitarbeiter, die wiederum Kunden und Mitarbeiter warben und dafür Provision erhielten.
Zweimal wöchentlich schulten Manfred G. und Jens B. ihre „Verkaufspromoter“, „Account Promoter“ und „Niederlassungsleiter“ im Kundenfang, der von Anzeigen in Zeitungen und im Internet flankiert wurde. Sogar eine monatliche Zeitung mit Kaufempfehlungen, die „AKW News“, produzierten sie.
Im September 2003 meldete sich ein Reisebüro bei der Polizei: „Dem kamen die Rabatte merkwürdig vor“, sagte der Polizeiermittler. Im März 2004 wurden die Wohn- und Geschäftsräume der beiden Angeklagten durchsucht. Dabei fand man keine Beweise, dass die Einkaufsgemeinschaft funktionieren würde. Im September desselben Jahres erkannte auch Manfred G. das nahende Ende von AKW und nahm seinen Hut. Der Augsburger hatte in seiner Position mit dem klangvollen Titel „President of Germany“ bis dahin etwa 200.000 Euro verdient, der angerichtete Schaden belief sich auf 115.000 Euro.
Jens B. führte nun allein die Geschäfte. Ende 2004 konnten die Kundenwünsche nur noch schleppend bearbeitet werden, im Juni 2005 ging fast nichts mehr. Kurz darauf trafen die ersten Strafanzeigen bei der AG Schneeball ein – die ersten von insgesamt 2.488.
Derweil kamen immer mehr verzweifelte Kunden in die Büroräume in der Storkower Straße 113. Menschen, die ihr gesamtes Geld investiert hatten, weinten und drohten.
Ein Manager, der es nicht ertrug, dass die von ihm geworbenen Kunden ihr Geld verloren hatten, nahm sich das Leben, weiß der Ermittler. Eine befreundete Buchhalterin sagte im September 2005 zu Jens B.: „Erstatte Selbstanzeige! Das Ding läuft aus dem Ruder!“ Doch selbst vor Gericht blühte der sonst so grau und eingefallen wirkende Angeklagte auf, als er seine Idee vortrug: „Nur wenn wir viele, viele Dienstleistungen haben, können wir diese Rabatte erwirtschaften.“ Für eine Minute durchzog den Gerichtssaal die Atmosphäre einer Werbeveranstaltung.
Im November 2005 beschlagnahmte die Polizei schließlich sämtliche Unterlagen. Mit ihrer Auswertung sind vier Ermittler ein Jahr lang beschäftigt. Für die AG Schneeball bei der Polizei ist der Fall auch nach der Urteilsverkündung noch nicht abgeschlossen: „Jetzt kommen die anderen Vermittler dran“, sagte deren Leiter vor Gericht. UTA FALCK