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Archiv-Artikel

Träumen von einer nachhaltigen Stadt

STADTPLANUNG Berlin entwickeln – das muss mehr sein als die Nachnutzung von Tempelhof. Es geht um soziale und ökonomische Fragen

Die Ausstellungen

Grand Paris in Berlin. Die Zukunft unserer Metropolen. Die Ausstellung in der Zentralen Eingangshalle des Kulturforums am Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, läuft noch bis zum 8. Mai. Öffnungszeiten: Di., Mi., Fr. 10 – 18 Uhr; Do. 10 – 22 Uhr; Sa. und So. 11 – 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Alle Veranstaltungen des Rahmenprogramms finden sich auf der Website smb.museum/smb/kalender

IBA Studio. Alte Zollgarage, Flughafen Tempelhof, Platz der Luftbrücke. Geöffnet bis Mai 2011, für das Publikum allerdings zunächst nur zu den Veranstaltungen „Klimaschutz und Klimaanpassung: Wie kann die IBA punkten?“ (Talk am 10. Februar um 19 Uhr) und „Going local – Stadt bauen mit lokalen Ressourcen“ (Talk in englischer Sprache am 17. Februar, ebenfalls um 19 Uhr)

VON VESTA NELE ZAREH

Vor vier Jahren löste die Schweizer Stadtplanerin Regula Lüscher Senatsbaudirektor Hans Stimmann ab. Sie übernahm von ihm kein „steinernes Berlin“, aber die schwierige Aufgabe, nach fast zwanzig Jahren Diskussion um Fassadengestaltung und Blockrandbebauung neue Debatten anzustoßen und neue Visionen zu entwickeln.

Tatsächlich ist es in Fragen der Stadtplanung ruhig geworden in Berlin, seit die meisten Großprojekte im Zuge des Regierungsumzugs fertiggestellt worden sind. Dabei gibt es allein mit der Schließung von Tegel und Tempelhof und der Inbetriebnahme des BBI gigantische städtebauliche Herausforderungen, die nicht nur die gesamte Infrastruktur Berlins verändern – sie werden radikale Auswirkungen auf die umliegenden Bezirke und Gemeinden haben.

Dabei sind das noch Phänomene, die sich auf den physischen Raum Berlins beziehen. Hinzu kommen eine immer älter, heterogener und ärmer werdende Bevölkerung, die Auflagen des Kioto-Protokolls und die Tatsache, dass Berlin 60 Milliarden Euro Schulden hat. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Stadtplanung eine übergeordnete Vision fehlt, die nicht nur die anstehenden Maßnahmen in einen sinnvollen Zusammenhang stellt, sondern vor allem die ökonomischen, ökologischen und sozialen Anforderungen zum Ausgangspunkt nimmt.

Die Ende Januar in der Eingangshalle des Kulturforums eröffnete Ausstellung „Grand Paris in Berlin. Die Zukunft unserer Metropolen“ und die Eröffnung des IBA Studio in der Alten Zollgarage des Tempelhofer Flughafens zeugen von dieser Suche nach neuen Visionen für die Entwicklung der Stadt. Am Kulturforum werden Beiträge gezeigt, die im Rahmen der 2008 vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy initiierten Studie „Grand Paris – Die Metropole Post-Kioto“ entwickelt wurden.

Kultur und Nachhaltigkeit

Zehn internationale und multidisziplinäre Teams wurden damals beauftragt, eine konkrete Vision für den Metropolenraum Paris im Jahr 2030 zu entwickeln. Die Initiatoren der Studie, zu denen die Ministerien für Kultur und für Nachhaltigkeit gehörten, sowie die Zusammensetzung der Teams – Architekten, Soziologen, Ökonomen und Ökologen, aber auch Philosophen – ließen erkennen, dass es um eine Vision der Stadt und ihrer Räume sowie der städtischen Gesellschaft als Ganzes ging. Um den Umbau der bestehenden Stadt, zu der neben dem Zentrum Paris auch die Banlieue mit ihren Cités, Einfamilienhaus-Siedlungen, Shopping-Malls, Wäldern und Parks gehören. Jenen Stadtstrukturen, die im 20. Jahrhundert unter der Prämisse der Funktionstrennung und dem Ruf nach Licht, Luft und Sonne entstanden waren, aber nicht flexibel auf veränderte ökologische, ökonomische und soziale Bedingungen reagieren konnten.

So anspruchsvoll die Studie angelegt war, so vielversprechend sind ihre Ergebnisse: Eine Charta, die maßgeblich zur Entwicklung des Metropolenraums beitragen könnte, ist noch nicht entstanden. Was vielleicht weniger an den entwickelten Modellen liegt als an den bestehenden politischen Strukturen, die wie die Stadt selbst noch das 20. Jahrhundert widerspiegeln.

Auch beim IBA Studio wird deutlich, dass eine Wende im Denken stattgefunden hat. Wenn von „Stadtkapital“, „Raumstadt“ und „Sofortstadt“ die Rede ist, wenn als Kernthemen die soziale und die nachhaltige Stadt genannt werden, dann werden Stadt und Stadtplanung anders begriffen als noch vor zwanzig Jahren. Wie bei „Grand Paris“ geht es nicht mehr nur um die Ästhetik der Architektur, sondern um soziale und ökonomische Fragen. Auch im Prä-IBA-Team finden sich Soziologen, Sozialwissenschaftler und Kulturunternehmer, die diesem Anspruch Rechnung tragen sollen. Und auch im Maßstab findet sich ein Bruch gegenüber den Vorläufern, wie bei Sarkozy, der nicht wie seine Vorgänger ein „Grand Projet“ in Paris entwickelte. Anders als die vorangegangenen IBAs, die sich auf ausgewählte Areale beschränkten, hat die IBA 2020 die Veränderung der gesamten Stadt Berlin im Visier.

In der Eröffnungsrede ebenso wie in den bisher veröffentlichten Unterlagen zum IBA-Konzept tauchte dann aber leider das Wort Vision nicht auf. Die Rede ist von Potenzialen, Fragen zur nachhaltigen und sozialen Stadt stehen im Vordergrund, aber es wird zu wenig thematisiert, wie sich diese Felder zusammenbringen lassen.

Ur-Void Tempelhof

Es fehlt eine Übersetzung von Nachhaltigkeit und sozialer Stadt in konkrete Visionen. Als Arbeitsfelder werden Berlins zahlreiche Brachen und Freiflächen genannt, allen voran der Ur-Void Tempelhof. Doch eine gesamtstädtische Vision müsste weiter reichen. Sie müsste sich lösen von der prominenten Mitte und auch von den prominenten Leerstellen. Stattdessen sollte sie sich mit der nötigen Adaption der schon bestehenden Strukturen befassen,wo schon heute der Alltag der Menschen stattfindet. Die daraus konsequent folgende Vision für die Leerstellen müsste lauten: Lasst sie leer!

Eine Schwierigkeit gilt es bei allen anstehenden Fragen zu überwinden: Den Planern und den Politikern stehen Strukturen zur Verfügung, die aus dem 20. Jahrhundert stammen und nicht geeignet sind, Prozesse für das 21. Jahrhundert in Gang zu bringen.

Vielleicht ist die IBA nicht der richtige Ort, um diese Vision zu entwickeln, aber es bleibt zu hoffen, dass in zehn Jahren erste strukturelle Veränderungen sichtbar werden, auch was die Zusammenarbeit von Regierung, Kommunen und Investoren betrifft.

Eine gesamtstädtische Vision muss sich lösen von der prominenten Mitte – und den prominenten Leerstellen

Berlin hat wie alle anderen europäischen Städte mit den Problemen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu kämpfen, es hat aber durch seine historische Entwicklung auch spezifische Probleme, die wie Katalysatoren wirken könnten. Allen voran eine Tatsache: Die Stadt ist arm und kann nicht mehr als alleiniger Bauherr auftreten, sie ist auf breite Kooperation angewiesen. Die Ökonomie sollte angesichts der leeren Kasse ein zentrales Thema sein. Hier könnte die IBA ansetzen, könnte veränderte Planungs- und Steuerungsprozesse erarbeiten und neue, langfristig angelegte Finanzierungsmodelle entwickeln.

Vielleicht wird es nach der IBA 2020 tatsächlich kein Projekt geben, das man 30 Jahre später besichtigen kann wie das heutige Hansaviertel oder die „IBA-Bauten“ in Kreuzberg. Vielleicht wird man aber eine Stadt vorfinden, in der anders geplant wird. Eine Stadt, in der es nunmehr drei große Parks gibt, eine Stadt mit einem preiswerten und flächendeckenden öffentlichen Nahverkehr, eine Stadt, in deren Mitte es noch sozialen Wohnungsbau gibt. Die Vision dafür ist nachhaltig und sozial, sie muss nur in aller Konsequenz bis zum Ende durchdacht werden.

Die Masse begeistern

Der Architekturhistoriker Julius Posener hatte schon vor 50 Jahren erkannt, dass Visionen für die Stadt keine Frage der Utopie, sondern vor allem der konkrete Ausdruck des Wollens sind. Wie aber können die bisher Verantwortlichen – Politiker, Architekten, Stadtplaner – die breite Masse und vor allem Investoren für die Themen Nachhaltigkeit und soziale Stadt begeistern? Der Ausstellung im Kulturforum wird dies nicht gelingen, sie präsentiert das abstrakte Thema Stadtplanung auf eine distanzierte, fast unverschämt unattraktive Weise.

Das IBA Studio könnte es schaffen, es müsste nur seine bisher verschlossenen Türen öffnen und versuchen, seine Themen konkret verständlich zu machen. Neben Gesprächen auf Englisch, die am Abend stattfinden, sollte es Formate anbieten, die vor allem Kinder und Jugendliche, die Senioren von heute und morgen sowie potenzielle Unterstützer ansprechen. Sie sind es, die morgen unsere Vision einer nachhaltigen und sozial gerechten Stadt mittragen sollen. Wenn diese Vision nicht als Utopie enden soll, müssen sich vor allem viele in ihr wiederfinden können.