: Verborgene Wunschträume
THRILLER Jagd durch Berlin: Liam Neeson in „Unknown Identity“ von Jaume Collet-Serra (Wettbewerb)
Die besten Thriller sind verfilmte Albträume. Und die besten Albträume sind Wunschträume, die ihre wahre Identität nach Freud’scher Technik durch negative Vorzeichen verbergen. Zum Beispiel der, eines Tages aufzuwachen und ein ganz anderer zu sein. Viele sehnen sich danach; Dr. Martin Harris (Liam Neeson) wohl eher nicht. Hat er doch eine schöne Frau (January Jones) an seiner Seite und Erfolg im Beruf. Stolz erzählt er dem Grenzbeamten in Berlin-Tegel, dass er auf einem hochkarätigen Biotech-Kongress einen Vortrag halten wird. Seine Frau zieht ihn noch dafür auf. Als Zuschauer schenkt man diesem Geplänkel keine Bedeutung. Ganz im Gegensatz zu jenem Aktenkoffer, den der Taxifahrer wenig später einzuladen vergisst. Eine Großaufnahme lässt keinen Zweifel, dass damit der eigentliche Thriller beginnt.
Wegen dieser Tasche wird Harris wenig später in ein weiteres Taxi steigen, in einen Unfall verwickelt werden und in der Spree landen. Damit ist es vollbracht: Harris wacht nach vier Tagen im Koma auf und niemand weiß, wer er ist. Seine Erinnerungen an seine eigene Identität sind lückenhaft. Das eigentliche Problem aber besteht darin, dass inzwischen ein anderer vorgibt, Dr. Martin Harris zu sein. Selbst seine Frau kann sich nicht an ihn, den eigentlichen Martin Harris, erinnern. In dieser desolaten Lage wirkt es gewissermaßen ermutigend, dass ihm irgendwelche Finstermänner nach dem Leben trachten, liefern sie damit doch den Beweis, dass es sich hier um einen Komplott und nicht um seinen Nervenzusammenbruch handelt.
Der Regisseur Jaume Collet-Serra liefert mit „Unknown Identity“ einen im Grunde altmodischen, dadurch aber auch erfrischenden Paranoia-Thriller ab. Er verzichtet auf stilistische Schnörkel; die Actionszenen bestehen aus Verfolgungsjagden durch die Straßen Berlins, deren eigentliche Abenteuerlichkeit sich erst den Ortskundigen erschließt. Für alle anderen sehen sie ein wenig zu gewöhnlich aus. Wie im Grunde auch die Handlung, die sich aus bewährten Versatzstücken zusammensetzt. Wobei sich eine gewisse Subtilität darin entfaltet, wie nach der Plotwendung alles ganz anders aussieht, zum Beispiel auch die oben erwähnte Eingangssequenz.
Subtilität zeigt der Film auch darin, dass er die Bevölkerung Berlins mal nicht nur als typisch humorlos, sondern in ihrer Multikulturalität in Szene setzt. Eine ganze Phalanx an namhaften Schauspielern, bekannt aus „Funk und Fernsehen“, tritt auf, der schillerndste darunter Bruno Ganz als Ex-Stasioffzier, der seine Dose Cyanid noch immer in der Teedose versteckt hält. Für den „High-brow“-Schauspieler Ganz muss das ein Wunschtraum gewesen sein, einmal solch eine Knallcharge zu sein.
BARBARA SCHWEIZERHOF
■ 19. 2., 20 Uhr, Urania + 23 Uhr, Friedrichstadtpalast