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Archiv-Artikel

„Angela Merkels Musik ist sehr britisch“

José Torreblanca über das heutige Treffen der 18 EU-Staaten, die die Verfassung bereits ratifiziert haben

taz: Herr Torreblanca, Spanien und Luxemburg haben für heute die 18 Länder, die die EU-Verfassung ratifiziert haben, nach Madrid eingeladen. Was ist von diesem Treffen zu erwarten?

José Ignacio Torreblanca: Die 18 Staaten, die den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, wollen zeigen, dass sie diese Verfassung nicht aufgeben. Bei der nun beginnenden Wiederbelebung der Verfassung fangen wir nicht mit 27 verschiedenen Positionen bei null an. Es gibt 18 Länder, die klar für den existierenden Text sind. Hinzu kommen Portugal und Irland, die den 18 sehr nahe sind. Schweden und Dänemark stehen den Ja-Sagern ebenfalls näher als den Nein-Sagern. Bleiben fünf Neins: Frankreich, Holland, Polen, Tschechien und Großbritannien. Dieses Lager ist nicht einheitlich. Das Treffen der 18 kann dazu dienen, dass sich die Menschen in Frankreich und Holland fragen, mit wem sie eigentlich zusammen sein wollen. Mit den 18, die mehr Europa wollen, oder mit denen, die weniger wollen.

Kann die deutsche EU-Präsidentschaft die Verfassung vom Eis holen?

Ich befürchte, dass sich die deutsche Präsidentschaft dazu verleiten lassen könnte, eine schnelle Lösung zu finden, indem sie versucht, alle Länder auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Dies wäre für Spanien, das die Verfassung per Volksabstimmung mit 72 Prozent angenommen hat, alles andere als zufriedenstellend.

Laufen die 18 mit ihrem Treffen nicht Gefahr, Frankreich und Holland zu verärgern?

Dieses Argument ist in den letzten Tagen oft zu hören. Die Franzosen sehen das Treffen und die Verfassungsdebatte als eine Einmischung in ihren Wahlkampf. Doch machen wir mal halblang: Die gesamte EU steckt seit zwei Jahren in einer Krise, weil die Franzosen Nein gesagt haben. Die französische Regierung hat in diesen zwei Jahren keinen einzigen Vorschlag unterbreitet, um die Krise zu lösen. Alle Welt klagt darüber, dass das EU-Referendum in Frankreich zu stark von nationalen Themen geprägt war. Jetzt haben wir die Gelegenheit, dass der Wahlkampf von europäischen Themen bestimmt wird, und wieder ist das nicht recht. Was ist schlecht daran, dass die Wähler erfahren, was die einzelnen Kandidaten von Europa wollen? Auf diese Art wäre der Gewinner mit einem eindeutigen Mandat in Sachen EU versehen. Außerdem gibt es ja bereits zwei Ideen in Frankreich: Sarkozy will einen Minivertrag ohne Referendum. Royal will eine Verfassung mit Referendum. Ich sehe nicht, warum eine europäische Debatte um die Verfassung während dem französischen Wahlkampf schädlich sein sollte.

Die Spanier stimmten für und die Franzosen gegen die Verfassung. Was haben die Spanier, was den Franzosen fehlt?

Vertrauen in die Zukunft und in die politischen Institutionen. Die Franzosen stimmten mitten in einer schweren Wirtschaftskrise ab. Ein Großteil der Linken wendete sich von Europa ab, weil sie sich von einer Rechtsregierung im Verfassungsprozess nicht richtig vertreten sahen. Hinzu kam die extreme Rechte, die außerhalb jedweden Verfassungskompromisses steht. Das politische Zentrum war nicht in der Lage, breite Wählerschichten hinter die Verfassung zu bekommen. Das ist die Aufgabe, die vor der künftigen französischen Regierung liegt.

Vielen Franzosen war zu wenig soziales Europa in der Verfassung.

In keinem Land der Welt steht in der Verfassung, wie viel Geld für Sozialausgaben aufgebracht wird. Die Verfassungen stecken die Spielregeln ab. Es sind die Regierungen, die nachher entscheiden, ob sie eine sozialere oder eine liberalere Politik machen.

Was für eine Lösung kann es bei der Verfassung aus spanischer Sicht geben?

In Spanien schauen wir mit Sorge auf die anstehende Debatte. In Sachen Europapolitik ist Merkel nicht wie Kohl. Merkels Musik handelt viel von der Seele Europas. Doch der Text zur Musik ist sehr britisch. Better regulation, Subsidiarität … Merkel setzt zu stark auf Beziehungen zwischen den Regierungen, auf Effektivität, und zu wenig auf einen politischen Einigungsprozess.

Ist der Vorschlag, die Grundrechtecharta aus der EU-Verfassung zu streichen, um die Briten zu beruhigen, ein Zeichen für diese Politik?

Ideal wäre es, die Verfassung nach zwei Jahren Krise zu verbessern. Mehr soziale Themen, Energieproblematik, Immigration, Klimaschutz etc. All das könnte in Zusatzprotokollen verabschiedet werden. Stattdessen soll jetzt, nachdem wir zwei Jahre lang die Sorgen und Nöte der Bürger gehört haben, die Grundrechte gestrichen werden.

INTERVIEW: REINER WANDLER