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Archiv-Artikel

Schuld & Sühne

Zu Ostern nach Andalusien? Für drei Tage? Mit dem Flugzeug? Ohne schlechtes Gewissen? Wer etwa von Berlin nach Malaga und zurück fliegt, ist für den Ausstoß von 1,14 Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid verantwortlich. Das entspricht der Hälfte der Menge an CO2, die ein Pkw im ganzen Jahr verursacht – oder einem Drittel der Menge, die rechnerisch pro Jahr und Erdenbewohner ausgestoßen werden dürfen, ohne das Klima zu schädigen. Kurz: Drei Tage Andalusien, natürlich ist das dekadent! Doch es gibt neuerdings ein Gegenargument: klimaneutrales Fliegen.

Abflug-, Zielflughafen: Unter www.atmosfair.de kann man die Emissionen berechnen lassen, die der Urlaubsflug verursacht. Die Seite verrät auch, wie man die Sache wieder gut machen kann: durch die Zahlung von 23 Euro. „Die Summe investieren wir in Klimaschutzprojekte“, sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von atmosfair. Allerdings nicht die ganze Summe, 20 Prozent Verwaltungsaufwand behält die gemeinnützige GmbH.

Zum Beipiel Indien: Tausende Pilger kommen täglich ins indische Sringeri Mutt, einem der bedeutendsten hinduistischen Wallfahrtsorte an der indischen Westküste. „Die Mahlzeiten für die Pilger wurden dort bisher mit Hilfe von Dieselbrennern zubereitet“, so Brockhagen. Das bei atmosfair eingezahlte Geld sorgt nun dafür, dass statt mit Diesel mit Sonne gekocht wird. Obwohl die solaren Großküchen bereits arbeiten, liegt das Klimaausgleichs-Fliegegeld noch auf der Bank von atmosfair. Im Sommer wird der TÜV an die indische Westküste fahren, um festzustellen, wie viel Kohlendioxid auf diese Weise gespart wurde. „Es gibt Messeinrichtungen, die aussagen, wie viel Energie die Solaranlage produziert hat“, erläutert Brockhagen. Danach wird die Dieselmenge ermittelt, die zur gleichen Energiebereitstellung notwendig wäre. Und welche Menge Kohlendioxid die Verbrennung des Diesels zur Folge gehabt hätte. „Für diese Menge zahlen wir Geld aus“, so Brockhagen. Pro eingesparter Tonne Kohlendioxid erhält das indische Projekt 15 Euro (Näheres unter www.gadhiasolar.com).

Insgesamt 18 Solarküchen sollen in Indien entstehen – in Tempeln, Krankenhäusern, Schulen. Für die Finanzierung reicht den Projektleitern vor Ort ein Vertrag mit atmosfair. „Weil wir zusichern, bei regelmäßigem Betrieb für jede gesparte Tonne Kohlendioxid zu zahlen, sind die Partner vor Ort kreditwürdig“, sagt Brockhagen. Der Vorteil für atmosfair ist, dass so sichergestellt wird, dass kein Geld irgendwo versickert. Gezahlt wird tatsächlich nur für den eingesparten Klimaschaden. Die indischen Anlagen sollen bis 2012 insgesamt 4.000 Tonnen CO2 einsparen. So viel entsteht bei 8 Millionen Flugkilometern – oder knapp 4.000 Flügen Berlin–Malaga.

Umgekehrt erhält atmosfair für jede bezahlte Tonne ein Zertifikat von der UNO. „Die sind so etwas wie ein Dollarschein“, erklärt der Atmosfair-Geschäftsführer – ein eigenes Zahlungsmittel, das an den Börsen wieder verkauft werden kann. Diese erhält die deutsche Firma, weil sie das Projekt bei der UNO nach dem Kioto-Protokoll als „CDM“ angemeldet hat, als clean development mechanism. Allerdings veräußert atmosfair die Papiere nicht weiter: „Wir legen sie still.“ Übersetzt heißt das: Sie verfallen.

Atmosfair entstand 2003 aus einer Initiative des Reiseveranstalterverbandes „forum anders reisen“ und der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Pro Woche berechnen 2.000 Internetnutzer ihren Klimadreck unter www.atmosfair.de. Tatsächlich zahlen dann im ganzen Jahr aber nur 7.000 Nutzer. NICK REIMER