Koalition auf dem Weg zum Mindestlohn

Müllmänner, Wachleute und Landschaftsgärtnerinnen könnten profitieren. Müntefering präsentiert seinen Vorschlag

BERLIN taz ■ Zwei Millionen Beschäftigte leben in Deutschland von Niedriglöhnen. Die Glücklichen unter ihnen verdienen acht Euro pro Stunde, Hundertausende bekommen so wenig, dass sie damit nicht einmal ihr Existenzminimum finanzieren können. Die Zahl dieser arbeitenden Armen will Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) nun verringern. Am kommenden Montagabend diskutiert er im Koalitionsausschuss mit der Union die Ausweitung des Mindestlohns.

Nach Informationen der taz geht es dabei vor allem um Beschäftigte in Branchen, die von der neuen Dienstleistungsfreiheit in Europa betroffen sind. Kandidaten für den Mindestlohn sind die Müllbranche und das Sicherheitsgewerbe. Auch im Garten- und Landschaftsbau sowie im Fleischerhandwerk stehen die ohnehin nicht opulenten Löhne unter Druck. Die Unternehmen zahlen auch deshalb weniger, weil sie billige Beschäftigte aus den europäischen Nachbarländern anwerben können. Außerdem erwägt Müntefering, einen Mindestlohn für Zeitarbeitsfirmen festzusetzen.

Bei seinem Versuch zur Regulierung des Niedriglohnsektors stützt sich Müntefering auf das Entsendegesetz von 1996. Weil preiswerte Bauarbeiter aus Westeuropa damals die deutschen Löhne unterboten, setzte die Bundesregierung unter Kanzler Kohl (CDU) in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Arbeitgebern einen Minimallohn für die Bauwirtschaft fest. Bauarbeiter, Dachdecker, Maler, Lackierer und auch Seeleute haben heute ein Recht auf mindestens 8,90 Euro brutto pro Stunde.

Ob die Ausweitung dieser Regelung auf andere Branchen machbar ist, steht innerhalb der großen Koalition noch in den Sternen. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, die Angelegenheit zu prüfen. Trotzdem zieren sich die Christlichen. Sie wissen nur genau, was sie nicht wollen: einen gesetzlichen Mindestlohn, der für die gesamte deutsche Wirtschaft gelten würde. Bei branchenspezifischen Mindestlöhnen ist die Union dagegen unentschlossen. CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe sagt: „Es gibt keine Vorfestlegung“ für die Verhandlungen mit der SPD. Soll heißen: Über ein paar Branchen kann man reden.

Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering sieht in der Verhandlung am kommenden Montag den Startschuss seiner großen Reform des Arbeitsmarktes. Der Mindestlohn soll nur der Anfang sein. Zur Debatte steht auch, wie man niedrige Löhne, von denen die Beschäftigten nicht leben können, aufstocken kann. Die Koalition lässt zur Zeit prüfen, ob es den Geringverdienern helfen würde, wenn der Staat ihre Sozialbeiträge übernähme. Auf der Tagesordnung wird dieses Thema aber erst im Februar stehen.

Der SPD insgesamt, Teilen der SPD-Fraktion im Bundestag und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) geht Münteferings Ansatz nicht weit genug. Was ist mit den hundertausenden Niedriglöhnern, die nicht das Glück haben, in einer der ausgewählten Branchen zu arbeiten? 7,50 Euro pro Stunde für alle fordert deshalb die Dienstleistungswerkschaft Ver.di. HANNES KOCH