: Afrikas schwarzes Schaf
FINANZEN Das Bankensystem der Elfenbeinküste ist zusammengebrochen. Der verhinderte Wahlsieger Ouattara hat ein Exportverbot für Kaffee und Kakao verfügt. Wahlverlierer Laurent Gbagbo und seine Leute transferieren bereits Geld ins Ausland. Und die Bevölkerung leidet
■ Der Verlierer: Der im Jahr 2000 gewählte sozialistische Präsident Laurent Gbagbo regiert faktisch den Südteil der Elfenbeinküste um Abidjan weiter, obwohl er am 28. November 2010 die Wahl gegen den liberalen Oppositionsführer Alassane Ouattara mit 46 gegen 54 Prozent verloren hatte. Der Gbagbo ergebene Verfassungsrat annullierte daraufhin Teilergebnisse aus Ouattaras Hochburgen und erklärte Gbagbo zum Wahlsieger.
■ Der Neue: Die 11.500 Soldaten starke UN-Mission in der Elfenbeinküste, der laut Wahlvereinbarung das letzte Wort bei der Bestätigung des Wahlergebnisses zukommt, hat Ouattaras Wahlsieg bestätigt. Ouattara wird deswegen international als legitimer Präsident der Elfenbeinküste anerkannt.
■ Die Rebellen: Der Nordteil des Landes steht seit Ausbruch eines Bürgerkrieges 2002 unter Kontrolle von Rebellen, die Ouattara anerkennen. Sein Premierminister Guillaume Soro, zugleich Chef der nordivorischen Rebellen, hat das Volk dazu aufgerufen, ab Montag 21. Februar Massenproteste nach dem Vorbild Tunesiens und Ägyptens zu starten. (d. j.)
VON FRANÇOIS MISSER
Je länger der Konflikt in der Elfenbeinküste andauert, desto schlechter werden die ökonomischen Aussichten für das Lager des bisherigen Präsidenten Laurent Gbagbo. Der bisherige Machthaber, der seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen vom 28. November 2010 nicht anerkennt, aber faktisch weiter regiert, ist den schärfsten internationalen Sanktionsmaßnahmen gegen ein afrikanisches Land seit den Zeiten der Apartheid in Südafrika unterworfen.
Jüngstes Indiz: der weitgehende Zusammenbruch des ivorischen Bankensystems. Die wichtigsten in der Elfenbeinküste tätigen Banken haben ihre Arbeit eingestellt, weil kein internationaler und kein Interbank-Zahlungsverkehr mehr gewährleistet ist. Der Grund dafür ist, dass die Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA, die den auch von der Elfenbeinküste genutzten gemeinsamen CFA-Franc der frankophonen Länder Westafrikas verwaltet, ebenso wie alle anderen panafrikanischen Organisationen nicht mehr Gbagbo als Präsidenten anerkennt, sondern Alassane Ouattara, den auch international bestätigten Sieger der Präsidentschaftswahl. Die UEMOA-Zentralbank BCEAO hat daher Gbagbos Elfenbeinküste faktisch aus ihren Reihen ausgeschlossen.
Zunächst hatte die BCEAO Gbagbo nach der umstrittenen Wahl noch als Schwarzkasse gedient, weil ihr Gouverneur Philippe-Henri Dacoury-Tabley, ein Ivorer, mit Gbagbo befreundet war und zwischen dem 23. Dezember und dem 17. Januar rund 150 Millionen Euro an Gbagbo überwies – entgegen geltenden BCEAO-Beschlüssen. Am 14. Januar dann setzte die EU Dacoury-Tabley auf ihre Sanktionsliste, und auf einem UEMOA-Gipfel in Mali am 22. Januar reichte der Gouverneur seinen Rücktritt ein. Wenige Tage später schloss die BCEAO-Filiale in Abidjan ihre Pforten, woraufhin Gbagbo sie besetzen ließ und die darin befindlichen Bargeldbestände beschlagnahmte. Die Elfenbeinküste ist jetzt vom Zahlungsverkehr im UEMOA-Wirtschaftsraum abgeschnitten, Banken im Land können ohne Zentralbank kein Bargeld aus Reserven mehr beschaffen und keine Transaktionen untereinander mehr vornehmen.
Am 14. Februar begannen daher die wichtigsten Banken des Landes ihre Tätigkeit einzustellen. Als erste schlossen die „Internationale Industrie- und Handelsbank der Elfenbeinküste“ (Bicici), Teil der französischen BNP-Paribas-Gruppe, sowie die US-amerikanische Citibank ihre Pforten in Abidjan. Es folgten drei Tage später die britische Standard Chartered und die französische Société Générale (SGBCI), die größte Bank des Landes. Zugleich schloss die Abidjaner Börse. Bei den wenigen noch funktionierenden Bankhäusern versuchten Ende letzter Woche panische Konteninhaber, ihre Konten zu leeren.
Eine eigene Währung
Radikale Kräfte um Gbagbo erwägen nun die Gründung einer eigenen Währung, provisorisch MIR betitelt: „Monnaie Ivoirienne de Résistance“ (Ivorische Widerstandswährung). Teile der Staatsgehälter sollen in MIR ausgezahlt werden, wobei 100 MIR-Francs 1.300 alten CFA-Francs entsprechen. Gbagbo tritt damit in die Fußstapfen des Simbabwers Robert Mugabe, der zu Zeiten des Wirtschaftskollapses in seinem Land ebenfalls begann, Gehälter in international nicht anerkannten Coupons zu zahlen.
Es sind Maßnahmen der Verzweiflung, die kaschieren sollen, dass die ivorische Wirtschaft – die eigentlich fast die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung des frankophonen Westafrika ausmacht – immer weiter der Kontrolle Gbagbos entgleitet. Der Nordteil der Elfenbeinküste steht ohnehin unter Kontrolle von Rebellen, die Ouattara als Präsidenten anerkennen. Aber im Süden des Landes herrscht nun ein Tauziehen zwischen Gbagbo und Ouattara um die Kontrolle der ivorischen Exportwirtschaft: Kakao, Kaffee und Öl. Die Elfenbeinküste erzielt 15 Prozent ihrer Devisen durch Öl- und 40 Prozent durch Kakaoexport. Die Elfenbeinküste ist der größte Kakaoproduzent der Welt, mit Exporten von 1,2 Millionen Tonnen im letzten Jahr, das macht etwa 40 Prozent der Weltproduktion aus. Die Elfenbeinküste ist außerdem der drittgrößte Kaffeeproduzent Afrikas.
Vor einem Monat verhängte der verhinderte Wahlsieger Alassane Ouattara ein Exportverbot für Kaffee und Kakao aus der Elfenbeinküste, zunächst für die Dauer von einem Monat, aber es soll ab 23. Februar verlängert werden. Ouattara, der nach wie vor in einem Hotel von Abidjan unter UN-Schutz residiert und nicht regieren kann, hat keine Machtmittel in der Hand, um einen solchen Schritt gegenüber der ivorischen Geschäftswelt durchzusetzen. Aber spiegelbildlich hat Gbagbo keine Handhabe, das Ausland daran zu hindern, Ouattaras Ansage zu folgen. Mehrere Großeinkäufer ivorischen Kakaos haben erklärt, keine Ankäufe mehr zu tätigen, beispielsweise die US-amerikanische Cargill und die Schweizer Barry Callebout.
Der Exportstopp soll verhindern, dass ausländische Unternehmen Zahlungen zugunsten des Gbagbo-Regimes leisten. Alle Mitglieder seines Kabinetts befinden sich inzwischen auf einer Sanktionsliste der EU, die auch Kontensperrungen verfügt. Die am 22. Dezember 2010 beschlossenen EU-Sanktionen wurden am 14. Januar und erneut am 2. Februar ausgeweitet und betreffen inzwischen 91 Einzelpersonen und 13 ivorische Unternehmen, die „den Friedens- und Versöhnungsprozess in der Elfenbeinküste behindern“.
Schwarze Kassen
Zu ihnen zählen Marcel Gossio, Direktor des Hafens von Abidjan, außerdem Kassoum Fadika, Direktor der staatlichen Ölgesellschaft Petroci, sowie Laurent Otto Zirignon, Vorsitzender der staatlichen Ölraffineriegesellschaft SIR. Sie alle sollen Gbagbos „illegale Administration“ finanziert haben. Im Dezember überwies Fadika umgerechnet rund 30 Millionen Euro von Petroci-Konten an Gbagbos Staatshaushalt. Damit konnte Gbagbo die Staatsgehälter für den Monat Dezember bezahlen.
Die EU-Sanktionen frieren nicht nur Konten und Guthaben dieser Firmen ein, zu denen außerdem die ivorische Stromgesellschaft, der Kakaohafen San Pedro, die größten ivorischen Banken und die Handelsverbände für Kakao, Kaffee und Kautschuk gehören. Sie verbieten auch europäischen Firmen, diesen Unternehmen Geld zu zahlen, erklärt Filiberto Ceriani Sebregondi, Direktor im diplomatischen Dienst der EU. Es sollen „keine Gelder oder Ressourcen direkt oder indirekt an oder zum Vorteil der natürlichen oder juristischen Personen, die in dieser Regulation gelistet sind, zur Verfügung gestellt werden“. Das betrifft unter anderem den irischen Ölförderer Tullow, die britische Firma Afren und die italienische Edison – alles Partner von Petroci in der Offshore-Ölförderung der Elfenbeinküste.
Diplomaten in Brüssel bestätigen, dass Gbagbo-Getreue bereits Geld nach Libanon und in diverse Steuerparadiese transferieren konnten, weil die EU-Beschlüsse wegen der Weihnachts- und Neujahrszeit extrem lange dauerten. Gbagbo soll einen Großteil seines Geldes nach Angola geschafft haben.
Die Ölgesellschaft Petroci ist bereits darauf vorbereitet, Sanktionen zu umgehen: Seit Monaten besteht Direktor Fadika darauf, dass seine Kunden ihre Zahlungen auf Offshore-Konten überweisen, obwohl das eigentlich illegal ist. „Nach zwei, drei, sechs Monaten könnten die Sanktionen Wirkung zeigen“, sagt Fadika in einem Interview.
Was den Kakao angeht, fallen die Krise und die Sanktionsbeschlüsse in eine eher gute Saison. Nach offiziellen Angaben lag die Kakaoernte Ende Januar 2011 bereits bei 905.000 Tonnen, ein Plus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr; bis zum Abschluss der Ernte im März wird eine Rekordproduktion von 1,5 Millionen Tonnen erwartet. Zum Zeitpunkt von Ouattaras Exportstopp befanden sich zwischen 100.000 und 300.000 Tonnen in den ivorischen Lagern. Da in der Vergangenheit schwarze Kakaokassen wichtig für die Finanzierung Gbagbos waren, dürften die Einnahmen aus den bereits geleisteten Ausfuhren ihn eine Weile über Wasser halten. Aber weitere Geschäfte werden schwierig: Ankäufer schrecken angesichts der unklaren Lage davor zurück, die üblichen Vorauszahlungen zu leisten. In Aussicht auf steigende Lagerbestände im Land selbst drücken Zwischenhändler die Produzentenpreise – von 1.100 auf 800 CFA-Franc pro Kilo (von 1,67 auf 1,21 Euro). Außerdem wird immer mehr ivorischer Kakao nach Ghana geschmuggelt, von wo aus er legal und risikolos exportiert werden kann.
Gbagbo lebt nun von Monat zu Monat. Nach UN-Schätzungen braucht seine Regierung monatlich 100 Millionen Dollar, um 104.000 Staatsbedienstete und 55.000 Soldaten und Polizisten zu bezahlen. Der Staatshaushalt 2011 hat ein Volumen von 6 Milliarden Dollar. Die Gbagbo-Regierung verkündete letzte Woche neue „Krisensteuern“ im Telekom- und Kautschuksektor, um die ausfallenden Einnahmen aus anderen Wirtschaftsbereichen zu kompensieren.
Je länger der Machtkampf andauert, desto mehr leidet die ivorische Bevölkerung. Die Elfenbeinküste war einst das reichste Land Westafrikas. Seit Bürgerkriegsausbruch 2002 hat sie diese Stellung verloren. Der Friedensprozess der letzten Jahre, der mit den Wahlen 2010 eigentlich vollendet werden sollte, nährte Hoffnungen auf einen baldigen Wiederaufstieg. Jetzt herrscht stattdessen die vollkommene Krise.