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Archiv-Artikel

Die Götter sind traurig

„Jene ihre Begegnungen“, der letzte Film, den Jean-Marie Straub und Danièle Huillet miteinander drehen konnten, ist heute im Zeughaus-Kino zu sehen

„Jene ihre Begegnungen“ – „Quei loro incontri“ heißt der jüngste Film von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub. Er lief im Wettbewerb der diesjährigen Filmbiennale von Venedig; was dort rund um die Aufführung des Films geschah, wie die Kritik reagierte, ist in Auszügen auf der Webseite www.newfilmkritik.de dokumentiert.

Ein Musikstück am Anfang – hier aus einem Streichquartett von Beethoven, Opus 95 Nr. 3 – liegt gewaltig auf dem schlichten Vorspann. Und dann sehen wir eine Landschaft, hügelig mit Büschen und ganz hinten eine blaue Ebene wie ein Zipfel Meer. Zwei Gestalten stehen da mit dem Rücken zu uns und sprechen, ihre Kleidung bewegt sich im Wind, und ihre Stimmen kommen fest und mächtig aus ihren Körpern. Sie nennen sich „die Anderen“ und äußern sich über die Menschen, über die Sterblichen: „Arme Würmer sind sie, aber bei ihnen ist alles unvermutet und Entdeckung. Man kennt das Tier, man kennt den Gott, aber niemand, nicht mal wir anderen, kennt den Grund dieser Herzen. Es gibt sogar jemand unter ihnen, der es wagt, sich gegen das Schicksal aufzulehnen. Nur mit ihnen und für sie lebend schmeckt man die Würze der Welt.“

Diese „Anderen“ sind Götter, Zwischengötter und Musen. Ein einziger Mensch ist auch dabei, der Dichter Hesiod, der die Erzählungen weitergeben wird. Ihre Worte in der Landschaft einer gespaltenen Welt kommen aus Cesare Paveses „Gesprächen mit Leuko“, erschienen 1947, angelegt in Alltagssprache, um den Mythos mit einem materialistischen Tigersprung in die Gegenwart zu holen. Diese Götter haben auch eine Gesellschaft, einen Umbruch, eine Modernisierung hinter sich. Sie besprechen in immer neuen Dialogen die gegenseitigen Projektionen, die Menschen und Götter aufeinander werfen. Einige mit Verve und Pathos, andere wissend und melancholisch wie Dionysos oder fragend und verwundert. Auch ein Schmetterling fliegt vorbei, und der Bach gluckert und die Vögel zwitschern. Nach den Dialogen gibt es eine Stille, die Worte klingen nach.

Gespielt und verkörpert werden diese Gestalten, die mit ihrer ganzen Gegenwärtigkeit doch manchmal wie lichtfleckige Waldgeister mit den Bäumen verschwimmen, in der Landschaft aufgehen, von den Laien-Schauspielern des kleinen Teatro Comunale von Buti in der Toskana, mit denen Straub/Huillet schon lange zusammengearbeitet haben. Sie schätzen an der Arbeit mit den beiden Filmemachern, dass es mit ihnen möglich ist, Sprache wie eine musikalische Partitur zu erarbeiten. In dem Dokumentarfilm „Wo liegt euer Lächeln begraben“, den der portugiesische Filmemacher Pedro Costa im Straub/Huillet’schen Schneideraum gedreht hat, ist zu erfahren, wie jedes einzelne Wort den Raum bekommen kann, sich schon in einer minimalen Bewegung im Körper anzukündigen, und wie ein flüchtiges Lächeln in den Augen eines Darstellers genau den Platz in der Montage erhält, der es leuchten lässt.

Das Zeughauskino zeigt „Quei loro incontri“– „Jene ihre Begegnungen“ und dazu die erste kurze Videoarbeit der beiden, ein Cinétract. Im Gedenken an Danièle Huillet, die am 9. Oktober in Paris verstarb, und an die Jugendlichen aus der Banlieue, die letzten Herbst umkamen, als sie sich vor der Polizei in einem Trafohäuschen versteckten. MADELEINE BERNSTORFF