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Archiv-Artikel

Ein Störer mit Kalkül

Das private YouTube des Kunsthypes: Konstantin Schneider setzt sich als „Berliner Kunstkontakter“ bewusst der Gefahr der Ridikülisierung aus

VON MARCUS WOELLER

Es passiert oft in letzter Zeit auf Ausstellungseröffnungen: Plötzlich wird das Stimmengewirr leiser, Hälse fangen an sich zu recken – jemand zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Wenn dieser Jemand ziemlich groß und mittleren Alters ist, eine Brille auf der Nase trägt und dazu noch einen Bauarbeiterhelm auf dem Kopf, dann handelt es sich um Konstantin Schneider. Allerdings ist Schneider dann nicht privater Vernissagenbesucher, sondern der „Berliner Kunstkontakter“. Und den Helm trägt er nicht aus Gründen der Sicherung seines geistigen Wohls. An seinem knallroten Kopfschutz ist eine Videokamera installiert – schließlich ist Schneider als Agent im eigenen Auftrag zwischen Kunst, Journalismus und Selbstinszenierung unterwegs.

Seit Anfang des Jahres treibt er sich so auf Eröffnungen herum. Die Mini-DV-Kamera zeichnet alles auf. Den Raum, die Kunst, das Publikum. Dieses zeigt sich neugierig bis kamerascheu, belustigt bis genervt. Schneider fragt sich zum Galeristen durch und lauert Künstlern auf. Kraft seiner Montur – außer dem Helm manchmal noch mit rotem Ersatzteileköfferchen und Umhängeausweis – versucht er, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Das Rohmaterial schneidet er dann zu kurzen Filmchen zusammen, die er bisweilen auch ironisch kommentiert. Auf seiner Webseite www.berlinerkunstkontakter.de sind sie zu sehen. Auf diese Weise ist in den letzten Monaten eine Art privates YouTube des aktuellen Berliner Kunsthypes zusammengekommen: Interviews mit Künstlern, Statements von Galeristen und Impressionen von Rundgängen.

Der Kunstbetrieb, der an Freitagabenden einen unermüdlichen Besucherstrom durch die Galerienviertel der Stadt schickt, ist eine eitle und ziemlich hermetische Angelegenheit. Man kennt sich und bleibt unter sich. Oder man kennt sich eben nicht und bleibt außen vor. Hier die Schwellenangst abzubauen erweist sich als nicht gerade einfach. Genau dies lieferte den Grund für Schneiders selbsttherapeutischen Sprung ins kalte Wasser. „Man kann Wiedererkennungseffekte schaffen, wenn man will“, dachte er sich. Dass es ihm mit seinem Videohelm aber nicht nur darum geht, sich einen selbstsichereren Auftritt zu ermöglichen, sondern auch um ein künstlerisches Projekt, will Schneider „nicht aus den Augen verlieren. An der Kunstfigur wird gearbeitet.“

Dass einem da das seit Jahren unvermeidlich durch die Kunstszene stiefelnde Cross-Gender-Performance-Art-Paar Eva und Adele mit seiner hohen Peinlichkeitstoleranz in den Sinn kommt, gefällt Schneider nicht. Er versteht sein Projekt als work in progress, denkt über andere Verkleidungen nach und beabsichtigt in Zukunft eine größere Professionalisierung seines Videoblogs.

Schneider, 47 Jahre alt und gebürtig aus Braunschweig, hat mal Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste studiert und einige Zeit als IT-Gestalter gearbeitet. Er war aber auch schon Schauspieler, Architekturstudent, Reiseleiter, Hartz-IV-Empfänger und spricht von sich nicht ohne Stolz als „Erfinder der Eimerlampe“. Jetzt begreift er sich eben als Internetdienstleister und Hobbytransästhet. „Ich setze mich natürlich der Gefahr der Ridikülisierung aus, möchte aber auch ernst genommen werden“, bekennt er und erzählt, dass er auf den Vernissagen bislang kaum Aggressionen erlebt habe, dafür jede Menge vornehme Zurückhaltung, aber auch ehrliches Interesse und offene Arme.

Zum Beispiel die von Jonathan Meese. Der hat in seinem Weltbild jede Menge Platz für Selbstdarsteller und posierte gern vor Schneiders Helmkamera, mit einem Ad-hoc-Vortrag über Schädelforschung. Norbert Bisky hat es dem Kunstkontakter besonders angetan. Im Sommer ließ er den Maler vor laufender Kamera daran scheitern, seinen Ausstellungstitel „Es tut mir so leid“ zu erklären. Eine Nachwuchsfotografin war mehr mit ihrem Proseccoglas beschäftigt als mit Schneiders Fragen zu ihren Fotos. Galeristen verleugneten die Anwesenheit ihrer Künstler. Ausstellungsgäste nutzten die Kamera für spontane Darbietungen.

Schneiders Selbstverständnis lautet: „Einfachheit, Ehrlichkeit und Echtheit“. Mit diesem so griffigen wie naiven Motto will er Teil des Systems Kunst werden. Im günstigsten Fall bringt er damit Licht in das Beziehungsgeflecht des sozialen Events Vernissage, und die Betrachter seiner Filme werden zu Voyeuren, die ihn auf die öffentlichen, aber ebenso verschlossenen Veranstaltungen begleiten. Dort wird der Auftritt des Kunstkontakters zur kalkulierten Störung. Schneider erzwingt eine Kommunikation, die sonst nicht stattfinden würde, und seine Selbstdarstellung gerät unversehens zur Gruppenperformance. Mit der erhöhten Kameraposition übt er zwar noch keine Kunstkritik. Doch immerhin: Das Wichtigkeitsgefühl der gefilmten Gesprächspartner wird auf diese Weise schon mal erheblich konterkariert.