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Archiv-Artikel

Klima-Showdown im Kanzleramt

Angela Merkel will heute endlich den Zertifikatestreit mit der EU beenden. Doch während sich weder Bundesumwelt- noch Bundeswirtschaftsminister einsichtig zeigen, brechen sie einen neuen Streit vom Zaun: über Emissionsvorgaben für Autos

VON NICK REIMER

Heute Nachmittag entscheidet sich, ob die Bundesregierung Ernst macht mit dem Klimaschutz. Auf Anordnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen sich Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und sein Kollege Michael Glos (CSU) aus dem Wirtschaftsressort im Kanzleramt. Dort soll endlich der seit Monaten schwelende Streit über die Frage entschieden werden, wie viel Kohlendioxid die deutsche Industrie in den kommenden Jahren in die Luft blasen darf. Bis Donnerstag muss der Konflikt beigelegt sein.

Der Streit in Zahlen: Die EU-Kommission hat Deutschlands Industrie verpflichtet, ihren CO2-Ausstoß in den Jahren 2008 bis 2012 auf 453 Millionen Tonnen jährlich zu begrenzen. Was sehr großzügig von der EU ist: Die deutsche Industrie hatte selbst erklärt, sie werde 2010 nur noch 451 Millionen Tonnen Klimadreck verantworten. Der erste Skandal ist: Der Bundesumweltminister beantragt mit 465 Millionen Tonnen viel, viel mehr, als die Industrie selbst vorschlägt. Der zweite Skandal: Der Bundeswirtschaftsminister will der deutschen Industrie sogar noch mehr Millionen Tonnen zuschanzen. Der Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten – der sogenannte Zertifikatehandel – würde damit gar nicht mehr funktionieren. Denn solange mehr Aktien auf dem Markt sind, als eigentlich gebraucht werden, wird das einzig existente marktwirtschaftliche Klimaschutzinstrument ein Rohrkrepierer bleiben.

Doch die EU-Kommission in Brüssel macht weiter Druck – zuletzt auf die Automobilhersteller. Die hatten sich Anfang des Jahrhunderts verpflichtet, den Kohlendioxidausstoß 2008 auf 140 Gramm pro gefahrenen Kilometer zu begrenzen. Diese Vorgabe ist nicht mehr zu schaffen. Aktuelle Modelle von DaimlerChrysler stoßen 184 Gramm CO2 je Kilometer aus, die von BMW 190, ein Porsche im Schnitt gar 300 Gramm. Jetzt will die Kommission die Hersteller per Gesetz zur Einhaltung ihrer eigenen Vorgaben verpflichten.

Es folgte an diesem Wochenende: Gejaule aus der mobilen Ecke. In einem Brief an die EU-Kommission warnten deutsche Autobosse vor dem Verlust von zehntausenden Arbeitsplätzen. „Schwerste Verwerfungen in der Automobil- und Zulieferindustrie“ drohten, heißt es im Brief von Norbert Reithofer (BMW), Bernhard Mattes (Ford), Hans Demant (Opel), Martin Winterkorn (VW) und Dieter Zetsche (DaimlerChrysler). Über Bild am Sonntag lanciert, heißt es: „Diese Maßnahmen bedeuten eine massive industriepolitische Intervention zu Lasten der europäischen, aber im besonderen der deutschen Automobilindustrie.“

Während Gabriel sich gestern erneut für eine gesetzliche Lösung aussprach, aber zugleich den Anteil von Biokraftstoffen in die Rechnung einzubeziehen anbot, unterstützte Glos vorbehaltlos die Forderungen der Industrie. „Die Pläne, die die EU und Umweltminister Sigmar Gabriel gegen die deutsche Automobilindustrie verfolgen, müssen dringend gestoppt werden“, so Glos. Auch darüber wird man heute im Kanzleramt streiten.

Wie recht die EU mit ihren Vorgaben hat, illustrierte derzeit VW: Nach dem Wechsel an der Konzernspitze überprüft Volkswagen nach einem Bericht der Automobilwoche seine Hybridstrategie. Die Chancen für einen baldigen Serieneinsatz der klimaschonenden Technologie seien „rapide gesunken“.