: Werbende Hortensien
FREILUFT Die Wolfsburger Autostadt ist Museum und Freizeitpark zugleich. Diesen Sommer entdeckt die VW-Institution die britische Gartenkunst
England hat mit seiner 1863 ins Leben gerufenen Fußballnationalmannschaft eines der ältesten Teams der Welt. Nach dem WM-Debakel lässt sich damit aber nicht so recht punkten, schon gar nicht als Werbung für eine britische Automarke wie Bentley, die zu Volkswagen gehört. Auch die im Hannöverschen gefeierte historische Union von britischem Thron und Welfenhaus gibt ja kein Sommerthema her für den Freizeitpark des Wolfsburger Konzerns namens Autostadt. So greift man hier zu einem anderen, zutiefst englischen Spleen: der Gartenkunst.
Denn noch älter als der Fußball, nämlich bereits 1804 gegründet, ist die institutionalisierte Gartenliebe. Da Queen Victoria sie vor der Insolvenz rettete, heißt sie seit 1861 Royal Horticultural Society. Der britische Adel verwandelte etwa die klimatisch milden Küstenregionen Cornwalls mit viel exotischem Pflanzenmaterial aus Britanniens Kolonien in Rosamunde-Pilcher-Kulissen. So mancher übernahm sich hierbei finanziell.
Aber nicht nur der notorisch skurrile britische Adel war (und ist) gartenbesessen. Mit Enthusiasmus gärtnerten auch moderne Zeitgenossen wie Filmemacher Derek Jarman (1942-94). Nach seiner Aids-Diagnose erwarb er in den 1980ern eine alte Fischerhütte in Dungeness, direkt neben einem Atomkraftwerk. Im kargen Strandkies rund um sein Anwesen focht er fortan mit Treibholz, Eisenschrott und Meerkohl seinen surrealistisch heiteren Kampf gegen den frühen Tod.
Solch Hintergründiges fehlt natürlich in Wolfsburgs Autostadt. Man frönt hier ästhetischen Prinzipien britischer Gartenkunst: der farblich und olfaktorisch stimmigen Pflanzenverwendung etwa, oder der Freude am Blühenden. Eine Hortensienterrasse, Rosen mit Kräutern und Storchschnabelgewächsen unterpflanzt, Topiary-Formgehölze, ein Apfelgarten alter Sorten, ein kleiner Nutzgarten sind nun dauerhaft angelegt und dürfen sich entwickeln. Pflegende Gärtner bevölkern diese neuen Orte wie ornamental hermits, die Ziereremiten historischer Parks.
Das Automuseum Zeithaus setzt dazu 36 Fotos von Derry Moore neben seine Karossen. Man erblickt edles Wohnambiente seiner prominenten Freunde, nur keinen Garten. Gastronomisch gibt es Delikatessen und Cocktails aus Großbritannien.
Rund 2,2 Millionen Besucher kommen jährlich in die Autostadt, davon lediglich 160.000, um einen Neuwagen abzuholen. Konstante Stimulation ist also unerlässlich. Gärten und britische Lebensart sind da wahrlich nicht das Unangenehmste. BETTINA MARIA BROSOWSKY
Very British!: bis zum 7. September, Autostadt, Wolfsburg