: Böse Geister der Vergangenheit
KUNST Der Projektraum 404 zeigt Exponate von jungen Künstlern aus Südafrika. Sie spiegeln auch die inneren Widersprüche der Gesellschaft, in der sie entstanden sind
VON LISA MAHNKE
Wirrwarr und Ordnung. Ein Haufen gruseliger Fratzen. Die vielen, teils deformierten Figuren tummeln sich zusammen und entwickeln verschiedene Dynamiken. Einige scheinen orientalisch abstrakt, andere wirken fragil und ohne klare Linie. Trotz ihrer Zerbrechlichkeit wirken die schwarz-weißen Grafiken von Sebastian Borckenhagen etwas beklemmend.
Seine Exponate bilden den Anfang der neuen Ausstellung „The Man is Disappearing – Junge Kunst aus Südafrika“ im Projektraum 404. „The Man“, das ist der weiße Mann, der Südafrika bis zum Ende der Rassentrennung beherrscht hat. Borckenhagen, Anfang 30, ist einer von drei ausstellenden KünstlerInnen, die für die Gegensätze und die Vielfalt des neuen Südafrikas stehen sollen.
Kurator Gregor Straube hat schon mehrfach südafrikanische Kunst ausgestellt, einige Künstler besuchte er auch privat. So konnte er Borckenhagen bei der Arbeit über die Schulter schauen: „Er arbeitet mit speziellen fusseligen Tuschstiften, mit denen er faserige Strukturen erzeugt.“ In seinen Arbeiten scheint der Künstler die südafrikanische Gesellschaft zu reflektieren: Wie der Gestus seiner ornamentalen Grafiken ist auch sie multikulturell und dynamisch. Die Zerbrechlichkeit seiner Bilder ließe sich als Verweis auf die heranwachsende „First Generation“ des neuen Südafrika lesen, die die schwere Last der Vergangenheit auf zarten Kindesbeinen trägt. Die starken Schwarz-Weiß-Kontraste könnten auf die ehemalige staatliche Rassentrennung verweisen, die auch heute noch prägend für die Gesellschaft ist.
Borckenhagen kommt dabei durchaus aus einer privilegierten Bevölkerungsschicht Südafrikas. Ganz anders als der zweite Künstler der Ausstellung: Thembinkosi Kholi lebt in einem Township, wie sie zu Apartheidszeiten eingerichtet wurden – zugunsten der ethnischen Segregation. Kholis Collagen zeigen eine Kinderfigur, die betont schlicht, ja geradezu naiv dargestellt ist. Straube vergleicht Kholis Arbeiten mit der Art Brut, der „rohen Kunst“, ein Begriff, der für die Arbeiten von ungeschulten Künstlern und gesellschaftlichen Außenseitern steht. So überzeugt Kholi auch nicht auf technischem Niveau. Er arbeitet stark vereinfacht und mit groben Farbflächen; mit Tinte, Kugelschreiber und Acryl auf Recyclingmaterial. Der Kopf seiner kindlichen Figur ist aus Zeitungspapier.
„Es ist interessant, diesen Unterschied zwischen weißen und schwarzen Künstlern zu sehen“, so Straube. Denn Kholi sei auf das angewiesen, was er finde. Der Künstler, geboren 1978, hat die Apartheid noch als Jugendlicher erlebt und verarbeitet Vergangenheit und Gegenwart in seiner Kunst. Seine Arbeiten haben deshalb narrative Qualitäten: „Q-Phy“, wie er seine Figur nennt, lässt er symbolisch vom eigenen Schatten verfolgen und die Welt entdecken. „Die Vergangenheit holt einen immer ein“, erklärt Straube.
Grâinne McHugh, die dritte KünstlerIn der Ausstellung, fällt ein bisschen aus dem Rahmen, denn sie ist Irin. „Südafrika definiert sich sowohl historisch als auch durch die Migrationsprozesse“, begründet Gregor Straube die Präsenz der Künstlerin in der Ausstellung. McHugh, Jahrgang 1982, hat ihr Kunststudium und auch die nachfolgende Töpferausbildung abgebrochen. Sie zog daraufhin mit ihrem südafrikanischen Freund in dessen Heimat. In diesen vier Jahren wurde sie künstlerisch aktiv und beschäftigte sich mit dem Thema Identität. Sie formt Büsten aus Ton, deren Gesichter bis zur Unkenntlichkeit verziert sind. Wie Kholi arbeitet sie mit gefundenen Materialien: Eine der Figuren hat eingebrannte Blätterstrukturen im Gesicht, eine andere überzieht eine Art Netzmuster. Eine der Büsten ist von Nägeln durchbohrt und ähnelt der Figur „Pinhead“ aus dem Horrorfilm „Hellraiser“. Einige Büsten lassen auch südafrikanische Einflüsse erkennen: weiß eingecremte Gesichter auf dunkler Haut, charakteristischer Haarschmuck oder markante Schnitte im Gesicht, um böse Geister abzuschrecken. Neben diesem kulturellen Aspekt beschäftigt sich McHugh auch mit Einflüssen aus der Pop-Kultur wie Manga-Comics, einige Figuren verweisen auf den „Dia de los muertos“ – den mexikanischen Tag der Toten. „Durch diese Einschneidungen und Einprägungen entindividualisiert sie die Figuren und die Gesichter verschwinden“, erklärt der Kurator. Einige Büsten verweisen auf externe Einflüsse wie Natur, Tradition und Kultur. Die Grundform der Tonbüsten bleibt dagegen gleich: weiche Rundungen, hohe Stirn, tiefliegende Augen, Pausbäckchen. Die Büsten sind feminin und lassen erahnen, dass die Künstlerin ihre eigenen Identitäten nach außen kehrt – ihre Kunst ist ein Spiegel ihrer selbst.
■ bis 10. August, Öffnungszeiten: Donnerstag bis Sonntag, 16 bis 19 Uhr, Projektraum 404, Hegelstr. 36