: Arbeit gibt‘s nur drüben
Immer mehr Nordrhein-Westfalen pendeln zur Arbeit in die Niederlande. Gesucht werden nicht nur Facharbeiter – und Dank niedriger Sozialabgaben stimmt selbst das Nettoeinkommen
VON MORITZ SCHRÖDER
Wer in Nordrhein-Westfalen keinen Job findet, sollte es mal in den Niederlanden versuchen. Dort suchen einige Branchen händeringend nach MitarbeiterInnen und fragen inzwischen vermehrt im benachbarten NRW nach. „Wir haben zurzeit viele Stellenangebote aus den Niederlanden“, sagt Reinhard Greß, Sprecher der Agentur für Arbeit im Kreis Coesfeld.
Kamen bisher eher Menschen aus dem Nachbarland zur Arbeit über die Grenze, kehrt sich der Trend nun um. Laut Landesarbeitsministerium pendeln mit 15.000 Menschen täglich heute schon 1.000 mehr Deutsche täglich in die Niederlande als Niederländer nach Deutschland. „Die Zahl derer, die in den Niederlanden Arbeit finden, steigt“, sagt Greß.
Freie Stellen jenseits der Grenze gibt es zurzeit etwa im gewerblich-technischen Bereich. Facharbeiter wie Schweißer, Lackierer oder Dachdecker werden stark nachgefragt. „Aber auch die ungelernten Leute haben drüben eine Chance“, sagt Wilfried Kullmann, Leiter der Arbeitsagentur in der Grenzkommune Emmerich. Das sei ein Vorteil für Arbeitslose aus Deutschland. Während es auch hier einen Mangel an Fachkräften gebe, fänden schlecht qualifizierte Arbeitslose häufig nur im Nachbarland Arbeit. Meist kämen solche Angebote von Zeitarbeitsfirmen.
In einigen Arbeitsagenturen der Grenzregion sitzen daher ein Mal wöchentlich ArbeitsvermittlerInnen aus den Niederlanden hinter dem Schreibtisch und bieten Jobs aus ihrem Heimatland an. Städte wie Gronau vermitteln regelmäßig Arbeitsangebote aus den Niederlanden. Von dort werden etwa vier Arbeitssuchende pro Monat über die Grenze vermittelt.
„Dort ist das Wachstum höher als in Deutschland“, erklärt Kullmann die hohe Nachfrage aus dem Nachbarland. Attraktiv seien die Arbeitsangebote allemal. Das Nettolohnniveau ist in den Niederlanden höher als in Deutschland, weil weniger Sozialabgaben anfallen. Junggesellen etwa haben dort einen Abgabenanteil von rund 30 Prozent – inklusive Steuern. ArbeitspendlerInnen, die ihre Auskommen in den Niederlanden haben, bleiben trotzdem in Deutschland sozialversichert. Es reicht nach EU-Recht, wenn sie ein Mal die Woche nach Deutschland zurückkehren. Ein Haken: In der Regel gibt es im Grachtenland nur bis zu 24 Urlaubstage.
Langsam holen die NRWler die niederländischen Arbeitslosen beim Arbeitspendeln ein. Die kamen vor allem in den 70er und 80er Jahren, als die hiesige Wirtschaft Arbeitskräfte nachfragte, nach NRW. Zwar pendelten in den vergangenen Jahren noch viele Menschen rheinaufwärts, um hier zu arbeiten, im Grenzgebiet gebe es inzwischen aber „keine Anfragen mehr“, sagt Kullmann.
Von dem höheren Austausch profitieren aber auch die Unternehmen in den Grenzregionen. „Viele Deutsche sind interessiert an Kooperationen mit niederländischen Unternehmen. Das versuchen zunehmend kleinere und mittlere Unternehmen, die neue Märkte im nahen Ausland suchen“, sagt Wolfram Lasseur von der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein. Dort wird seit 2005 jährlich ein Beratertag NRW-Niederlande organisiert. Inzwischen sei es normal, dass hiesige Firmen als Subunternehmer oder Dienstleister für Unternehmen in den Niederlanden arbeiten.
Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) will den Austausch am Arbeitsmarkt fördern. Er startete zusammen mit seinem niederländischen Amtskollegen Anfang des Jahres das Pilotprojekt „Grenzüberschreitendes Lernen und Arbeiten“. Rund 100 BürgerInnen aus der Grenzregion sollen bei der Suche nach Arbeit und Qualifikation unterstützt werden. Weitere Projekte sollen folgen. Die Arbeitssuchenden haben ohnehin meist keine große Wahl, erklärt Greß: „Viele müssen die ausländischen Jobs annehmen. Das liegt am hohen Druck durch Hartz IV.“