american pie
: Hengst im Himmel

Seit Monaten hielt ein moribunder Vierbeiner Amerikas Pferdesportfreunde in Atem. Jetzt ist Barbaro tot

Namen wie Seabiscuit, Smarty Jones oder Secratariat sagen jedem amerikanischen Sportfan etwas. Wenn man jedoch nachfragt, wer die Jockeys dieser berühmten Derby-Hengste waren, erntet man in der Mehrheit nur ein Achselzucken. Der Star im Pferderennsport, der während der Triple-Crown-Rennen im Frühjahr kurzzeitig sogar den Baseball aus dem Rampenlicht verdrängt, ist eindeutig das Tier und nicht der Mensch.

Ein wehrloses Pferd kann man eben deutlich hemmungsloser mit Zuneigungsbekundungen überschütten als einen Athleten, und so hielt das Schicksal von Barbaro beinahe acht Monate lang die ganze Nation in Atem. Am Montag verlor jedoch der Kentucky-Sieger des vergangenen Jahres seinen langen Todeskampf, der mit seinem Beinbruch kurz nach dem Start in Baltimore am 20. Mai des Vorjahres begonnen hatte.

Jedem anderen Pferd hätte man die lange Qual erspart und es eingeschläfert. Als die fragilen Knochen des hochgezüchteten Tieres vor einem Millionenpublikum unter der Rennbelastung zersplitterten, hatte es eigentlich sein Leben verwirkt. Doch die Besitzer Roy Jackson und seine Frau Gretchen trauten sich offenbar nicht, angesichts des überbordenden nationalen Mitgefühls mit dem edlen Renner, Barbaro einfach die Kugel zu geben. Und so wurde das Pferd für viele hunderttausend Dollar von den besten Tierärzten des Landes fünf Stunden lang operiert.

Doch die Behandlung half nur vorübergehend. Wegen der ungleichen Gewichtsverlagerung entzündeten sich Barbaros Hufe, eine erneute Operation war notwendig. Nach der zweiten Operation schien Barbaro zur Erleichterung der mitleidenden Fans zunächst auf dem Weg der Besserung. In der vergangenen Woche verschlimmerte sich jedoch sein Zustand erneut. Ein abermaliger Eingriff wurde nötig. Danach ging es Barbaro jedoch so schlecht, dass Roy Jackson ein Einsehen hatte: „Er hätte sein Leben lang Schmerzen gehabt. Es wäre immer schlimmer geworden“, sagte er. Am Montag wurde der Champion dann eingeschläfert.

Die Barbaro-Hysterie, die Amerika in den vergangenen Monaten erfasst hatte, wird angesichts dieser Nachricht gewiss noch ein letztes Mal aufflackern, bevor sie erlischt. Noch einmal wird der Blumenladen der Kleinstadt Kennett Square in Pennsylvania, wo Barbaro behandelt wurde, Gebinde-Bestellungen aus der ganzen Welt annehmen und Lastwagenladungen voller Blumen an die Pforte der Tierklinik bringen. Und vermutlich wird es ein feierliches Begräbnis geben, zu dem mehr Besucher kommen als jüngst zur Trauerfeier des Popstars James Brown in New York.

Auf einer eigenen Barbaro-Website haben die Fans die Welt live daran teilhaben lassen, wie sie bis zuletzt um den Gaul bangten. „Mir schnürt es die Kehle zu, ich kann mich auf nichts konzentrieren“, schrieb in den letzten Stunden der Besucher Carson Black. „Unsere ganze Familie betet und hat Kerzen angezündet“, erzählte Cheryl. Als es dann zu Ende war, gab Barbaros einstiger Trainer stellvertretend für die Millionen von Mitleidenden zu Protokoll, dass „Barbaro ein Held, ein großer Kämpfer“ war.

Dass sich das Pferd diesen qualvollen Kampf nicht selbst ausgesucht hatte, war bei all dem Bangen um Barbaro freilich nebensächlich. Das Pferd musste acht Monate lang als Reality-Seifenoper herhalten und sollte stellvertretend für Amerika den Tod und das Schicksal überwinden. Besitzer Roy Jackson kam das alles von Anfang an seltsam vor: „Ich habe keine Ahnung, warum sich alle so in dieses Pferd vernarrt haben. Irgendwie haben sich alle an ihm aufgehängt.“

Jackson schien offenbar froh, dass das alles nun ein Ende hatte. So wie vermutlich auch Barbaro selbst. SEBASTIAN MOLL