: Zurück zum Beton
AUS BOCHUM CHRISTIAN WERTHSCHULTE
„Freie Uni bleibt!“ steht auf dem grauen Beton neben der U-Bahn-Haltestelle gesprüht – seit gestern ein letztes Überbleibsel der „Freien Uni Bochum“. Die Polizei hat das seit Monaten besetzte Querforum West auf dem Campus der Ruhr-Universität in den frühen Morgenstunden geräumt.
Angefangen hatte die Aktion im Mai, als die Studierenden im gesamten Bundesland gegen Studiengebühren auf die Straße gingen. Als sich der Senat der Uni Bochum für das Bezahlstudium aussprach, machte sich eine Gruppe Studierender auf den Weg in das leer stehende Gebäude – und blieb. Bis gestern. In einer ersten Reaktion gab sich Katharina Teiting, Besetzerin der ersten Stunde, kämpferisch. „Wir fordern den Rücktritt des Rektors, die Polizei hat auf dem Campus nichts verloren“, erklärte die Studentin der Sozialwissenschaft.
Noch am Montag tummelten sich etwa zwölf Leute auf den abgewetzten Sofas. Zwei Tage vor der Räumung ist es kalt in der ehemaligen Mensa, die Heizung funktioniert nicht, man trägt Winterjacke oder sitzt in der Nähe des Heizlüfters. „Seitdem wir von der Räumung bedroht sind, ist alles schwieriger geworden“, erzählt Katharina Teiting. Die 23-Jährige spricht schnell und routiniert. Detailliert erzählt sie von den Ereignissen der letzten Monate, die auf der drei Meter langen „Pressewand“ dokumentiert sind: die Besetzung im Mai, das Sommercamp mit Studiengebührengegnern aus ganz Deutschland und der Beginn des alternativen Vorlesungsprogramms der „Freien Uni Bochum“. Eine Ringvorlesung zum Thema „Ware Bildung“ wird dort angeboten, Filme der Nouvelle Vague und ein Lesekreis zum „Kapital“. Genau der Stoff also, mit dem linke Studentenvertreter seit Jahrzehnten ihre Veranstaltungskalender füllen und der genauso zur deutschen Hochschule gehört wie der Dipl.-Ing.
„Zweckentfremdet“
Warum jetzt ausgerechnet in Bochum diese Selbstverständlichkeit zum Politikum geworden ist, erklärt sich AStA-Referent Dominik Ruppenthal mit der Person des neuen Rektors der Ruhr-Uni. „Der will sich bei den Professoren beliebt machen, damit sie ihn nach der Uni-Novelle demnächst zum neuen Amt des Präsidenten wählen.“ Der neue Rektor, das ist Elmar Weiler, ein Biologe, der seit Dezember an der Spitze der Ruhr-Uni steht und mit der Aufnahme in die Spitzengruppe der Exzellenz-Unis auch erste Erfolgsnachrichten nach außen verkünden kann. Für Weiler ist klar: Die Studierenden der „Freien Uni“ haben das Gebäude „für Wohnzwecke zweckentfremdet“, jetzt sei es „verwahrlost“, wie sein Pressesprecher Jens König nach der Räumung mitteilt.
Die Uni plant hier einen Raum für Tutorien und Lehrveranstaltungen. Dabei gibt es eine Reihe von Nutzungsplänen für die umgebaute Mensa. Der AStA hätte gerne einen größeren Veranstaltungsraum, den Fachschaften und andere studentische Gruppen ohne bürokratischen Aufwand nutzen könnten. „Wenn Studierende von sich aus in der heutigen Zeit die Initiative ergreifen, muss ich das als Studentenvertreter begrüßen“, sagt Ruppenthal, während er den Blick immer wieder auf den Bildschirm seines Computers im AStA-Büro wirft. Es herrscht Wahlkampf auf dem Bochumer Campus, die „Freie Uni“ ist zum heißen Thema geworden. Der linke AStA steht dahinter, die Jusos und der christdemokratische Nachwuchs sind dagegen. Business as usual.
Anna Dolf regt sich trotzdem auf. „Die Jusos stellen alles falsch dar. Wir haben auch ein gesellschaftliches Anliegen“, sagt die 21-jährige Besetzerin. Das gesellschaftliche Anliegen ist klar: Frei soll die Bildung sein, vielen Leuten zugänglich und selbstbestimmt. „Ich habe so viel durch die Besetzung gelernt und mich mit neuen Themen auseinander gesetzt“, erzählt die Studentin der Sozialwissenschaften mit den langen Dreadlocks, die seit Mai im Querforum aktiv ist.
Selbst Weihnachten hat die junge Frau in dem besetzten Uni-Gebäude verbracht, aus Angst vor der vorzeitigen Räumung. Leicht war das nicht, schließlich gibt es kein fließendes Wasser und kein Internet. Dafür Unterstützung von den Eltern: „Die haben selber früher Häuser besetzt.“ Und selbst wenn sich Neugierige immer seltener auf die Plena und Veranstaltungen der „Freien Uni“ verlieren, zeigt sie sich verständnisvoll. „Das Studium ist so verschult, die Leute haben eh kaum noch Zeit.“
Eine von denen, die trotz Prüfungsstress zwischen den Seminaren immer mal wieder dort vorbeischauen, ist die Psychologiestudentin Ariane. „Die meisten Studenten sind einfach faul“, erzählt sie beim Mittagessen in der neuen Mensa neben dem Querforum West. Im letzten Jahr wurde sie eingeweiht, ein heller, geräumiger Bau mit großen Fenstern, Wireless LAN und abgetrenntem Konferenzsaal mit Blick auf das Ruhrtal. „Der Tresen ist aus echtem Marmor“, erzählt Anna Dolf. Um sie und ihre MitbesetzerInnen herum herrscht Geschäftigkeit. Studierende sitzen über ihren Vorlesungsskripten, starren konzentriert auf die Bildschirme ihrer Laptops oder sortieren ihre Termine im PDA.
Zusammenhalt bleibt
Niemand nimmt Notiz von den BesetzerInnen oder kommt an ihren Tisch, um sich nach dem Stand der Dinge im Querforum zu erkundigen. „Wir haben viele E-Mails von Studis bekommen, die gefordert haben: ‚Schmeißt die doch endlich raus‘“, wird Pressesprecher Jens König nach der Räumung die Haltung der Mitstudierenden kommentieren.
Dabei hat die Initiative der Studierenden durchaus in die Stadt Bochum hineingewirkt. „Die Freie Uni strahlt über die Ruhr-Uni hinaus“, erzählt Rolf Lange von der WASG, der am späten Montagnachmittag Plakate mit Veranstaltungswerbung für die Gründung eines linken Studierendenverbands vorbeibringt. „Das ist eine sinnvolle Nutzung mit linken Inhalten.“ Ein wenig nostalgisch erzählt er von seiner eigenen Bochumer Studentenzeit: „Ich hab damals bei Leo Kofler studiert. Die linken Profs sind ja alle nicht mehr an der Uni tätig.“
Auch von den Bochumer Opelanern kam Unterstützung für die Besetzer, und als im vergangenen Sommer die Beschäftigten der Universität gegen das neue Hochschulfreiheitsgesetz in den Streik getreten waren, standen die Studenten der „Freien Uni“ auf ihrer Seite, erzählt Katharina Teiting. „Uns ist ist auch klar, dass es nicht gegeneinander geht.“
Genützt hat es freilich nichts, das Gesetz wurde im Landtag verabschiedet und damit ebenso Realität wie die „Freie Universität Bochum“ seit gestern Geschichte ist. Der Farbtupfer hat wieder Beton Platz gemacht. „Zumindest der Zusammenhalt wird nicht verschwinden“, hatte Anna Dolf noch am Montag ihre Vorstellungen für die Zeit nach der Räumung beschrieben.