crime scene
: War Hemingway ein Mörder? Ein schönes Beispiel für ein Genre, das es (noch) gar nicht gibt: den Toter-Promi-Krimi

Es gibt unverdientermaßen keine offizielle Bezeichnung für Romane, in denen (verstorbene) Prominente als Hauptfiguren auftreten, denen dann Ereignisse angedichtet werden, die garantiert nie stattgefunden haben. Und doch ist er ein äußerst eigenes, zudem äußerst heikles Genre, der Toter-Promi-Roman. Nachkommen könnten sich, stellvertretend für den Verblichenen, beleidigt fühlen, und auch lebende Fanschaften mögen es ungnädig aufnehmen, wenn ihr Vorbild als literarische Rangiermasse missbraucht wird. Nun ist Ernest Hemingway zwar schon seit 45 Jahren tot. Dennoch wird Leonardo Padura geschluckt haben, bevor er sich entschloss, auf das Angebot eines Verlags einzugehen, sich literarisch mit dem Großschriftsteller auseinanderzusetzen, der in Paduras Heimat Kuba lange lebte. Dass Padura das Wagnis einging, brachte noch jemanden auf die literarische Bühne zurück, der eigentlich schon von ihr abgetreten war: Mario Conde, der trinkfeste, vielrauchende Ermittler aus der Krimi-Tetralogie „Das Havanna-Quartett“, der nach Band vier den Dienst quittiert hatte, um Schriftsteller zu werden. In „Adiós Hemingway“ muss er nun doch ein fünftes Mal den Schnüffler geben.

Ein Mord ist aufzuklären, der in den Fünfzigerjahren geschah. Denn erst jetzt, Jahrzehnte nach Hemingways Weggang aus Kuba, findet man auf dessen Finca, die nun Museum ist, eine skelettierte Leiche. Da der besondere Ort ein delikates Vorgehen erfordert, zieht Mario Condes ehemaliger Vorgesetzter den schriftstellernden Ex-Cop hinzu, damit der dezent Ermittlungen anstellt. Mario beginnt sich in der Gegend herumzutreiben und entdeckt dabei – zunächst gar nicht so viel. Doch unmerklich werden wir aus der Gegenwart in ein Kuba einer anderen Zeit entführt.

Ereignisse aus über vier Jahrzehnten leben auf, aufgehängt an einer Szene, die Mario als kleiner Junge erlebt hat: Hemingway, der in sein Auto steigt und im Wegfahren in Marios Richtung winkt; vermutlich ein Abschiedsgruß an das Land, das zu verlassen er sich anschickt, den das Kind aber auf sich bezieht. Über dreißig Jahre später hat der erwachsene Mario Conde, mit der Frage konfrontiert, ob der große Hemingway vielleicht ein Mörder gewesen sein kann, die Chance, sein ambivalentes Verhältnis zu dem nicht wirklich sympathischen Schriftsteller und Frauenhelden endgültig zu klären. Dabei widersteht er nicht der Versuchung, in eigenen machistischen Phantasien zu schwelgen. Ein schwarzes Spitzenunterhöschen von Ava Gardner, das Padura genüsslich als sexuellen Fetisch in Szene setzt, spielt in doppelter Hinsicht eine Schlüsselrolle. Da es am falschen Ort auftaucht, liefert es einen wichtigen Hinweis auf das Mordinstrument. Zudem bietet es Mario, der die historische Unterwäsche heimlich an sich bringt, sowohl die Gelegenheit zu einem feuchten Traum als auch einen Anknüpfungspunkt zur freiwilligen Identifikation mit Hemingway, der mit der schönen Ava mal was hatte.

Erzählerisch sind der Ermittler und der tote Schriftsteller oft kaum zu unterscheiden. Passagen, die aus Marios Sicht erzählt werden, wechseln mit solchen, in denen in Hemingways Perspektive die Ereignisse von vor vierzig Jahren imaginiert werden – und Padura lässt die Erzählebenen so geschickt ineinandergleiten, dass man sehr, sehr gut aufpassen muss, wenn man mental immer in der richtigen Zeitschiene landen will. Andererseits ist es ein echtes Vergnügen, sich von diesem Roman in die Irre führen zu lassen; denn Padura meistert die diffizile Aufgabe, den klassischen Krimi mit der literarhistorischen Metaerzählung zu verbinden, mit souverän doppelbödiger Nonchalance. Das schwarze Spitzenhöschen übrigens endet als Flaschenpost. Und somit die machistische Attitüde des Helden und seines Autors in sanfter Selbstironie.

KATHARINA GRANZIN

Leonardo Padura: „Adiós Hemingway“. Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag, Zürich 2006, 190 Seiten, 17,90 Euro