: Rollis müssen unten bleiben
Keinen freien Zugang zum Sozial-Zentrum Süd hat, wer einen Rollstuhl braucht. Nach anderthalb Jahren Bemühen um eine Lösung machen die Behindertenverbände von ihrem Klagerecht Gebrauch
von Benno Schirrmeister
Da ist nix zu wollen. Nicht einmal mit roher Gewalt ließe sich der Rollstuhl von Harald Kellner in die Aufzugskabine quetschen. Das ist misslich, denn seine Sachbearbeiterin im Sozialzentrum Süd arbeitet im dritten Stock. Die Außenstelle des Amtes für Soziale Dienste ist der Ort, wo Bürger aus der Neustadt, aus Haben- und Woltmershausen, Hilfe in besonderen Lebenslagen beantragen können, etwa Hilfe zum Aufbau der Lebensgrundlage, Kuren – oder Eingliederungshilfe für Behinderte …
Vor etwas über einem Jahr hat das Sozialzentrum Süd neue Räumlichkeiten in der Großen Sortilienstraße bezogen, hinter Beck’s, kernsaniert und frisch gestrichen. Alles glänzend neu. Und wirklich hübsch. Bloß: Das Haus ist hoch und schmal, Parterre gibt’s keine Büros und wer auf einen Elektro-Rollstuhl angewiesen ist, kommt nur so weit in den Lift, dass die Räder überstehen. Die Schaltknöpfe kann Harald Kellner problemlos drücken, aber was hilft’s, wenn die Tür nicht schließt? Der Aufzug bleibt unten.
Schicksal? Nein. Denn dass dieser kommunale Dienstleister eigentlich barrierefrei sein müsste, leuchtet nicht nur unmittelbar ein. Es ist auch ein verbriefter Anspruch. Erstmals werden deshalb Selbstbestimmt Leben (SL) und die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (LAGS) von ihrem Verbandsklagerecht Gebrauch machen. Zum 2. Januar haben sie bei der Sozialsenatorin Widerspruch „gegen die Feststellung der Rechtmäßigkeit des Umzuges“ eingelegt. Weil die Behörde bis heute nicht einmal in der Lage war, den Eingang des Schreibens zu bestätigen, ist damit zu rechnen, dass die Gerichte sich im Frühjahr darum kümmern müssen.
Vorangegangen sind dem fast anderthalb Jahre erfolgloser Bemühungen des Landesbehindertenbeauftragten: Im Herbst 2005 habe er sich in der Sache erstmals an den stellvertretenden Sozialamtsleiter Günter Nerz gewandt, so Joachim Steinbrück. Dessen Antwort: Die Sache mit der Barrierefreiheit, das sei doch bloß eine Kann-Bestimmung. Steinbrück: „Das hat bei mir den Eindruck hinterlassen, er kenne die entsprechenden Gesetze nicht.“ Peinlich für einen Verantwortlichen im Sozialamt, denn wenigstens das Sozialgesetzbuch sollte der kennen: Leistungsträger seien „verpflichtet, darauf hinzuwirken“, schreibt das vor, „dass Verwaltungs- und Dienstgebäude frei von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren sind“.
Das ist nicht die einzige Norm, gegen die der Zustand des Gebäudes verstößt: Verletzt wird das Behindertengleichstellungsgesetz Bremens, verletzt wird das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes und verletzt wird die Landesbauordnung: Nach der sind genehmigungspflichtige Umbauten von Verwaltungseinrichtungen barrierefrei zu gestalten. Dass eine Einrichtung der Sozialbehörde durchs Bauressort abgenommen gehört, steht außer Frage, der Mieter, die Gesellschaft Bremer Immobilien (GBI), hat das Placet nachträglich beantragt. Aber bislang ist die Genehmigung nicht erteilt, und „das Gebäude ist auch nicht genehmigungsfähig“, so Horst Frehe von Selbstbestimmt Leben.
Die Senatshaltung zu dem Vorgang ist bekannt. Schließlich war die Einrichtung bereits Gegenstand einer Anfrage in der Bürgerschaft. „Das Erdgeschoss“ sei doch „barrierefrei hergerichtet“, heißt es in der am 4. Oktober in der Stadtbürgerschaft vorgetragenen Antwort. Soll heißen: Man will die jetzige Behelfspraxis, dass die Sachbearbeiter bei Rollstuhlfahrer-Besuch von der Pforte in ihren Büros angeklingelt werden, festschreiben. „Das ist die Hunde-müssen-draußen-bleiben-Philosophie“, so Frehe. Wirkliche Barrierefreiheit hieße nämlich, dass die Einrichtung „in der allgemein üblichen Weise zugänglich und nutzbar“ wäre. So lautet die Definition, die zuerst das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz formuliert hat, die dann die übrigen Länder und der Bund übernommen haben: Ja, ja, man war einmal Vorreiter in Bremen. Aber das ist schon lange, lange her.