: Erst die Opfer, dann die Sanktionen
NIEDERLANDE Die Leichen der MH17-Katastrophe befinden sich auf dem Weg in die Niederlande. Dort beginnt jetzt die Debatte über die Haltung zu Russland
AMSTERDAM taz | Mit Ungeduld und großer Erleichterung hat man in den Niederlanden zur Kenntnis genommen, dass die Leichen der MH17-Opfer auf dem Weg zurück sind. Premierminister Mark Rutte erklärte am Dienstagmittag, man werde nun mit den Vorbereitungen für die schrittweise Überführung der Opfer beginnen. Um diese Zeit war der Zug, über dessen Ziel und Abfahrtszeit tagelang spekuliert worden war, aus Donezk in Charkiw angekommen. Womöglich könnte am Mittwoch das erste Flugzeug in Eindhoven landen. Anschließend sollten die Leichen in Hilversum identifiziert werden.
Rutte sagte weiter, er gehe davon aus, dass noch nicht alle Überreste an Bord des Zuges waren. Insofern bleibe es die Priorität seiner Regierung, den vollständigen Rücktransport zu garantieren, um anschließend die Hintergründe der Katastrophe zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Auf Initiative der ukrainischen Regierung würden die Niederlande die Untersuchungen vor Ort leiten. Auch die Black Boxes des Malaysian Airlines-Flugzeugs seien mit dem Zug in Charkiw angekommen.
Für die Regierung in Den Haag rückt damit die Einlösung ihres Versprechens in Sichtweite, zunächst sämtliche Opfer zurück in die Niederlande zu holen. Am Montag hatte Rutte dies im Parlament bekräftigt, wo er über die Entwicklungen in der Ukraine informierte. Die Zweite Kammer unterbricht aus Anlass der MH17-Katastrophe ihre Sommerpause für eine Debatte über die künftige Position gegenüber Russland, die am Mittwoch stattfinden soll.
Während der Versammlung am Montag erfuhr die Regierung von allen Fraktionen Unterstützung für ihr Auftreten. Im Ausland hatte man sich zuletzt über den vermeintlich zu vorsichtigen Standpunkt Den Haags gewundert. Rutte nahm dazu im Parlament deutlich Stellung: „Wir müssen verhindern, dass die frühzeitige Benennung von Schuldigen zu eingeschränktem Zugang zum Katastrophengebiet führt.“ Dass die Regierung deswegen Sanktionen gegen Russland ablehne, sei jedoch „ein Missverständnis“, so Rutte am Dienstag in Den Haag.
Außenminister Frans Timmermans bekräftigte das kurz zuvor. „Wir suchen Gerechtigkeit für die fast 200 Niederländer, die auf grausame Weise umkamen.“ Für die Niederlande dürfe es „keine Tabus“ geben, um diese Krise zu überwinden. Zudem machte Timmerman deutlich, es dürfe bei einem Vorgehen gegenüber Russland nicht so sehr um Wirtschaft, als um Sicherheit und die geostrategische Position Europas gehen. Insofern zeigte sich der Außenminister offen für weitere Sanktionen gegenüber Russland.
Am Vorabend hatte der Außenminister vor den Vereinten Nationen eine emotionale, aber auch entschlossene Ansprache gehalten. „Wie schrecklich müssen die letzten Momente ihres Lebens gewesen sein, als sie wussten, dass das Flugzeug abstürzen würde? Hielten sie die Hände ihrer Liebsten, drückten sie ihre Kinder ans Herz, schauten sie einander in die Augen, ein letztes Mal, in einem unausgesprochenen ‚Auf Wiedersehen‘?“ Am Ende seiner Rede versicherte er, die Niederlande würden nicht ruhen, bis alle Tatsachen bekannt seien und der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei.
Wann Hinterbliebene in die Ukraine aufbrechen können, so wie die Fluggesellschaft Malaysian Airlines das unmittelbar nach der Katastrophe zugesichert hatte, ist bislang noch nicht klar. Eine Sprecherin in Kuala Lumpur sagte der taz, es gebe diesbezüglich keine aktuellen Informationen. Seitens niederländischer Experten vor Ort hieß es am Dienstag, das Gebiet sei weiterhin zu unsicher, um Untersuchungen vorzunehmen.
TOBIAS MÜLLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen