In der Falle der Neoliberalen

Wenn staatliche Betriebe privatisiert werden, sinken die Preise keineswegs. Oft ist das Gegenteil der Fall, wie Werner Rügemer zeigt

Es fehlt gegenwärtig nicht an Versuchen, die Welt neu zu erklären. Vor ein paar Jahren war der „Terror der Ökonomie“ (Viviane Forrester) recht populär, dann kam das „Empire“ (Negri/Hardt). Anderen Autoren reicht immer noch der Begriff „Globalisierung“. Rar sind dagegen Autoren, die sich in die Niederungen der real existierenden Ökonomie begeben und sich kritisch mit Cash-Flows, Portfolios oder REITs (Real Estate Investment Trusts) beschäftigen.

Das ist schade, denn so bleibt dieses Feld entweder den Neoliberalen überlassen, die wenig mehr zu bieten haben als die Heiligsprechung des Kapitalismus. Oder aber den Börsengurus, die ihren Lesern mit ihrer Ratgeber- und Erweckungsliteratur einreden wollen, dass auch „Du es schaffen kannst“.

Eine löbliche Ausnahme ist Werner Rügemer. Seit Jahren beschäftigt sich der Kölner Publizist mit „Public Private Partnership“, Verkauf von Genossenschaftswohnungen oder dem „Cross Border Leasing“ – jenen berüchtigten Scheingeschäften, bei denen dutzende deutsche Kommunen ihre Infrastruktur für Scheingeschäfte hergegeben haben, bis der amerikanische Kongress dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben hat. Mit „Privatisierung in Deutschland“ legt Rügemer nun eine Bilanz der Privatisierung seit der Wiedervereinigung vor.

Mit unzähligen Beispielen belegt er, dass durch Privatisierung bisher staatlicher Betriebe die Preise keineswegs niedriger werden oder die Leistungen besser. Bei der Post verschwinden zum Beispiel immer mehr Briefe, weil sich das Unternehmen die Nachforschungen spart. Und bei der Bahn steigen die Preise unaufhörlich, während die Verspätungen immer zahlreicher werden.

Am Beispiel der ehemaligen DDR zeigt Rügemer, wie die Treuhand nach der Wende öffentliches Eigentum regelrecht verschleudert hat. Privatisieren geht vor Sanieren, bringt er das auf eine Formel. Dabei hätte es oft preiswertere Alternativen gegeben, die ostdeutsche Wirtschaft zu sanieren, etwa durch Genossenschaften. Rügemer bringt hier Beispiele aus der Abwasserwirtschaft. Das wurde jedoch zugunsten von Firmeninteressen verhindert.

Leider erschlägt die Menge der Kommunen, Firmen und Finanzierungsmodelle, die Rügemer als Belege anführt, den Leser förmlich. Ein wenig mehr Einordnung und etwas weniger Zahlen hätten dem Buch gut getan. Zumal der gelernte Philosoph Rügemer einiges zu sagen hat. Zum Beispiel warnt er davor, sich auf die Frage „staatlich oder privat“ einzulassen. „Rein rechtlich gesehen, können sich Aktionäre auch für neue Arbeitsplätze, für umweltverträgliche und nachhaltige Produktion entscheiden“, argumentiert er. Umgekehrt gebe es auch genügend Fälle von kommunaler Misswirtschaft. Die Frage „staatlich oder privat?“, so seine These, ist eine Falle der Neoliberalen. „Die Voraussetzung, es gebe hier einen wesentlichen Unterschied, trifft nicht zu.“

Das ist Diskussionsstoff für die globalisierungskritische Bewegung, der sich auch Rügemer im weitesten Sinne zugehörig fühlt. Denn de facto sind Linke in den Kommunen, in lokalen Attac-Arbeitskreisen oder Parteien immer dagegen, kommunale Unternehmen zu verkaufen. Und auch Rügemer plädiert am Ende für Wiederverstaatlichung von Unternehmen der Daseinsfürsorge wie der Wasserversorgung. Denn das könne ein erster Schritt zu einer „kooperativen Ökonomie“ sein, um die – von ihm abgelehnte – „privatistische Profitwirtschaft“ zu ersetzen. Was er damit meint, bleibt jedoch leider reichlich vage. DIRK ECKERT

Werner Rügemer: „Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz“. Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, 204 Seiten, 24,90 Euro