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Archiv-Artikel

Rot-Rot fährt auf die Standspur

taz-Serie „Koalition unter der Lupe“ (Teil 2): Beim Verkehr sind die wichtigen Entscheidungen bereits getroffen – im Guten wie im Schlechten. Jetzt vereinbart Rot-Rot nur noch fantasieloses Stückwerk

von ULRICH SCHULTE

Beton. Zwei Silben, die die wegweisendste Entscheidung der neuen Koalition treffend zusammenfassen. Mit dem Weiterbau der Stadtautobahn A 100 bis zum Treptower Park beschließt Rot-Rot, tausende Tonnen des Materials in Neukölln zu verbauen – und dafür dutzende Kleingärten zu planieren. „Es ist wirtschaftlicher und ökologischer Irrsinn, hunderte Millionen Euro für den Autobahnbau auszugeben, während gleichzeitig Mittel für die Sanierung von Straßenbahn, Straßen und Radwegen fehlen“, kritisiert Martin Schlegel vom Umweltverband BUND.

Naturschützer reagieren entsetzt auf das Projekt, zumal SPD und Linkspartei im Wahlkampf keineswegs vom schnellen Weiterbau sprachen. Aber keine Angst: Auch in der Neuauflage des Koalitionsvertrages setzt sich Rot-Rot ökologische Ziele, der A 100-Plan ist eher Ausrutscher denn Beleg für eine verkehrspolitische Wende der Koalition. Er folgt einer finanziellen Logik: Den 600 Millionen teuren Ausbau der drei Kilometer langen Strecke bezahlt der Bund.

Nach dem Karlsruher Finanzurteil ist einmal mehr klar: Das bankrotte Land nimmt, was es kriegen kann; für eine Umwidmung der Bundesmittel, wie der BUND sie fordert, kämpft es aber nicht.

Von Kampfgeist ist im neuen Koalitionsvertrag sowieso wenig zu spüren, die alte neue Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) kann sich vor allem auf das Verwalten bereits getroffener Entscheidungen beschränken. In der vergangenen Legislaturperiode gab Rot-Rot seiner Verkehrspolitik mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr, der Radverkehrsstrategie und dem Luftreinhalteplan einen groben Rahmen.

In den kommenden fünf Jahren geht es Rot-Rot in seiner Arbeitsvereinbarung um kleinteilige Umsetzung, sei es der „schrittweise“ Ausbau der Fahrradwege, die „stufenweise Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung“ oder die Tempo-Reduzierung „auf ausgewählten Abschnitten des Hauptstraßennetzes“.

Immerhin: Die von Rot-Rot geplante Umweltzone, die auf Dauer Autos mit hohem Schadstoffausstoß aus der Innenstadt verbannt, lobt sogar der BUND. Auch wenn sie spät kommt: ab 2008. Und die Idee einer Schlichtungsstelle, die die Rechte von Bus- und Bahnkunden gegenüber den Verkehrsbetrieben stärkt, findet auch den Beifall der Opposition.

Die Grünen nennen die Vereinbarung dennoch einen „verkehrspolitischen Blindflug“. Die Ökopartei fordert einen radikaleren Kurs zugunsten von Nahverkehr und Radfahrern, mehr Wettbewerb für die BVG. Außerdem will sie sich zum Beispiel für eine City-Maut mit der Autofahrerlobby anlegen – erntete dafür aber Hohngelächter der SPD-Vertreter in den Sondierungsgesprächen. Grünen-Verkehrsfachfrau Claudia Hämmerling sagt: „Für diese lasche Sammlung von ‚wir prüfen, streben an, versuchen‘ hätte Rot-Rot gar kein Koalitionspapier schreiben brauchen. Die schalten einfach auf Autopilot.“

Vorsichtig agiert die Koalition auch bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Beim Abschluss des neuen Tarifvertrages im Jahr 2005 haben Senat und Gewerkschaften vereinbart, das hochverschuldete Unternehmen bis 2020 vor Wettbewerb zu schützen. Die Garantie des Konkurrenzausschlusses findet sich auch im Koalitionspapier. Und teurer werdende Ticketpreise plant Rot-Rot mit ein, obwohl sich mancher in der PDS ein striktes Nein wünscht. „Tarifanhebungen dürfen unter Berücksichtigung der Zahlungsfähigkeiten nur moderat vorgenommen werden“, heißt es schwammig im Vertrag. Auch wenn die Verkehrssenatorin mit einem Machtwort die von den Betrieben gewünschte Erhöhung abgeblockt hat, gilt in der Branche eine spätere Anhebung der Fahrpreise, etwa im Frühjahr, als ausgemachte Sache.

Alles wie gehabt also. Auch äußerlich sieht man dem Vertrag an, dass der Verkehr weniger wichtig ist: Während Rot-Rot dem Thema im alten Koalitionspapier ein eigenes Kapitel widmete, muss er jetzt mit einem Unterpunkt der Stadtentwicklung auskommen.