: Bürger besucht Lager
Gorleben und die Proteste gegen das atomare Endlager stehen als Chiffre für Rebellion. Aber was verspricht sich ein bürgerlicher Grüner wie Reinhard Bütikofer vom Auftritt bei den Atomgegnern?
VON JAN FEDDERSEN
Im Fernsehen nehmen sich die Bilder aus wie immer: Menschen ketten sich an Gleise – oder haben sie dies nun gar nicht mehr getan? –, Frauen oder Männer geben Journalisten zu Protokoll, man befürchte das Schlimmste, dass nämlich dieser Ort, der wie kein anderer symbolisch als Nest des Widerstands gegen atomar generierte Energie identifiziert wird, zur ewigen Sondermüllhalde von Atommüll werde. Und zwar dem rot-grünen Kompromiss – der auch schon keiner war – über den Abschied von der Atomtechnologie zum Trotz.
Widerstand als Pflicht
All diese Bilder sagen vor allem das eine: Es gibt jenseits der Armutsproteste rund um Hartz IV noch so etwas wie eine sichtbare Protesthaltung wider das politische Einerlei der Berliner Republik. Gorleben, Hitzacker, Wendland, Atomtechnologie, Endlager … das sind keine Wörter, sondern Chiffren, die für Rebellion stehen, zunächst jedoch für den untilgbaren Rest des Protestes, der durch Rot-Grün von 1998 bis 2005 nicht aufgesogen werden konnte. Gorleben, das ist die Erinnerung an eine Zeit, als Widerstand zur Pflicht erklärt wurde und man einander schwor, sich nichts abmarkten zu lassen, schon gar nicht einen faulen Kompromiss.
Nicht dass irgendeineR heute all diese Kalamitäten um Gorleben verstehen könnte. Worum geht es denn da genau? Wie ist der Stand der Verhandlungen? Warum ist dieser Standort nicht schon lange aus dem atomaren Netzwerk genommen worden? Unverständlich, das alles. Aber wir, das Publikum ahnt, dass der Status quo nicht in Ordnung ist, Gorleben nämlich heimlich, still und leise doch zu jener Endlagerstätte werden zu lassen, die die Atomstromindustrie so dringend braucht, um eine Renaissance dieser Art der Elektrizitätserzeugung öffentlich plausibel zu machen.
Die Parteien sind alle dabei – die Union, die FDP, die SPD ohnehin, auf Foren, Expertenversammlungen, bei Hintergrundgesprächen in Lobbyräumen. Aber auch die Linkspartei und die Grünen hören zu. Überall ist die Botschaft zu vernehmen: Klimakatastrophe? Gottchen, klar. Ist übel, muss abgewendet werden. Und die Atomkraft wird plötzlich, nicht einmal hinter vorgehaltener Hand, als Alternative verkauft. Atom statt Öl und Kohle.
Gorleben ist aber nicht korrupt. Dieser Flecken mitten in der Öde zwischen Berlin und Hamburg möchte kein Abort einer unbeherrschbaren Technik werden. Man protestiert. Und sieht Politikerinnen wie Rebecca Harms von den Grünen, die bei den Widerstandsleuten geschätzt wird. Die hat nie ein A wie ein Ö, keinen Atomstrom wie Ökologie genommen. Anders verhält es sich freilich um einen grünen Funktionär wie Reinhard Bütikofer, neben Claudia Roth Vorsitzender der Exregierungsökos. Der tauchte auch in Gorleben auf – aber warum? Weil seine Partei um Aufmerksamkeit ringt und weil der Mann aus Baden-Württemberg mehr als ahnt, dass die ganzen Streichholzspielereien um Schwarz-Grün in nackte Zündelei ausarten können. Die Grünen könnten nicht mehr als AnwältInnen des bürgerrechtlichen und ökologischen Protests wahrgenommen werden, sondern als Mitmacher, Kompromissmauschler und als Partei, die keinen Sinn mehr macht, weil sie nur Macht will, weil sie keine mehr hat.
Bürgerlicher Habitus
Bütikofer, auf Berliner Parkett ein souveräner Politiker, dessen bürgerlicher Habitus die Haltung des Protests schon äußerlich dementiert, ist der Typus des Grünen, der aus bürgerlichem Gehege stammt, auf den Putz haute, um den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen, und nun, da immerhin sieben Jahre auf dem Gipfel angekommen, nun daran erinnert wird, dass der Protest, eben in Gorleben, nirgendwo anders mehr, kein Ende hat. Aber den zu bedienen ist schwer, denn Berlin ist weit, die Zentrale attraktiv und nächtelanges Angekettetsein an Bauzäunen im Angesicht von Hundertschaften von Polizei lästig und ermüdend.
Doch er muss, wollen die Grünen überhaupt noch wahrgenommen werden: Kein anderes Politikfeld ist noch das, das die Grünen bespielen könnten, nicht das des Feminismus, der Migrationsfragen, auch nicht jenes der Homosexuellen. Überall wird die Musik woanders gespielt, jedenfalls nicht von und durch die Grünen.
Bütikofer war in Gorleben ein Zitat seiner Partei aus anderen Zeiten, jedoch ein abgeschabtes. Man träumt neobürgerlich und größenwahnsinnig zugleich von Schwarz-Grün und weiß, dass ein solcher Traum böse enden kann: auch wahlarithmetisch im Nirwana unterhalb der fünf Prozent, jedenfalls dort, wo Grün noch wie irgendwie links verstanden wird.