Schubkraft für Ostpreußen

■ Stader Lokalpolitiker streiten heftig über das heutige Treffen der Vertriebenen- Kreisgemeinschaft Goldap in ihrer Stadthalle Von Ulrike Winkelmann

„Ein bißchen schockiert“ sei er gewesen, berichtet der Stader Bürgermeister Heinz Dabelow (SPD), als er den Vorträgen auf dem 94er Treffen der Kreisgemeinschaft Goldap gelauscht hatte. Deshalb werde er dem diesjährigen Treffen der Vertriebenen-Organisation an diesem Wochenende fernbleiben. Dies sei seine höchstpersönliche Entscheidung. Daß die SPD-Kreistagsfraktion gar zum Boykott des Treffens aufrufe, habe mit ihm nichts zu tun. Die Wogen der Stader öffentlichen Meinungsbildung schlagen hoch, die Leserbriefspalten im Stader Tageblatt sind voll.

Was ist passiert? Heute und morgen trifft sich in der Stader Stadthalle die „Kreisgemeinschaft Goldap in Ostpreußen e.V.“, eine Vertriebenen-Organisation, mit der der Landkreis Stade seit den fünfziger Jahren eine Patenschaft unterhält. Deshalb finden in jedem Jahr die „Hauptkreistreffen“ der Kreisgemeinschaft Goldap in Stade statt. 1994 hatte einer der Festredner, Professor Dr. Wolfgang Strybrny, verkündet, um Kaliningrad (Königsberg) entstehe „ein neues Preußen“; in diesem Jahr soll's um „deutsches Privateigentum als Schubkraft für Ostpreußen“ gehen. 1000 TeilnehmerInnen werden heute erwartet, prominentester Gast: Alfred Dregger, CDU-Rechtsaußen und -Ehrenvorsitzender.

Über die Reden auf den Zusammenkünften der Kreisgemeinschaft Goldap wunderte sich in Stade nicht nur der Bürgermeister. Der Stader VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten) hat im Umfeld des Vertriebenenverbands Verbindungen ins nationalistisch-revanchistische Lager ausgemacht. In der „Heimatbrücke“, dem Organ der Kreisgemeinschaft, wird nicht nur, wie für Vertriebenenverbände üblich, gedeutschtümelt, sondern auch für die Aktivitäten eines Hans-Dietrich Otto geworben. Das ehemalige NPD-Mitglied betreibt im heutigen Jasnaja Poljana (Trakehnen) eine Hoch- und Tiefbaufirma und spielt eine führende Rolle bei der „Regermanisierung“ der Region Kaliningrad.

Organisiert vom rechts-extremistischem Spektrum rings um den Kieler Verleger Dietmar Munier sowie dem Neo-Nazi Manfred Roeder, soll dort mit deutschem Geld und deutscher Arbeit in der Bevölkerung der „Wunsch geweckt werden, zu Deutschland zu gehören“. Die Vertriebenen-Organisationen, laut VVN auch die Goldaper, fungieren dabei als Spendeneintreiber und Beschaffer von „Hilfsgütern“.

Das Material seiner Recherche ließ der VVN dem Kreistag zukommen und ihn aufgefordert, für eine Aufhebung der Patenschaft zu sorgen. Die SPD will nun „eruieren, ob die Patenschaft noch tragbar ist“, wie der Fraktionsvorsitzende Egon Ohlrogge formuliert; selbstverständlich soll jedoch das freundschaftliche Verhältnis zur polnischen Bevölkerung in Goldap nicht beeinträchtigt werden. Horst Eilmann, Stader CDU-Mann im Bundestag und dort auch Vorsitzender der Rechtsausschusses, bezichtigt den VVN derweil als „von Kommunisten kontrollierte Organisation“, deren Informationen nicht zu trauen sei. Seine Parteikollegen Landrat Richard Wilke und Oberkreisdiraktor Karsten Ebel verliehen Ende August in einer Presseerklärung ihrer Hoffnung Ausdruck, daß die SPD der Freundschaft mit dem Kreisgemeinschaft „die Treue bewahrt“. Die SPD will die Angelegenheit in den nächsten Wochen im Kulturausschuß des Kreistags beraten, der für die Patenschaft zuständig ist.