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Die verruchte Eigenschaft Kampfgeist

■ Zehn St. Paulianer verschenken beim 1:1 in Leverkusen zwei Punkte Von Katrin Weber-Klüver

Muß man Nachsicht üben mit Erich Ribbeck? Sollte man ihm zugute halten, daß im Rheinland ein Hang zur Selbstüberschätzung notorisch ist? Eigentlich nicht. Schließlich ist der ewig adrett Gefönte als Trainer zwar wenig mit Erfolg, aber ausreichend mit Arbeitsjahren umkränzt, um ein Spiel kompetent zu kommentieren. Doch weil das für Übungsleiter von Bayer Leverkusen oft zu traurigen Erkenntnissen über die eigene Elf führen kann, hat Ribbeck sich „abgewöhnt, Spiele objektiv zu sehen.“

Deshalb also mochte er nach dem turbulenten Remis gegen den FC St. Pauli durch Tore von Carsten Pröpper (Foulelfmeter, 54.) und Ulf Kirsten (klassisches Stürmertor im Gegenzug) nicht eingestehen, daß seine millionenschwere Mannschaft phasenweise vorgeführt worden war. Statt dessen ein Lob mit schaler Gönnerattitüde: „St. Pauli hat sehr gut mitgespielt“.

Lediglich mitspielen, im prosaischen Sinne von „anwesend sein zur Diensterfüllung“, tat aber wie üblich die Bayer-Formation. Die Elf, respektive nach dem Platzverweis gegen Stefan Hanke (28.) die Zehn von St. Pauli hingegen war, wie Pröpper meinte, „wie immer locker“ und an diesem Sonnabend auch noch außerordentlich spiel- und kampfstark. Der Klassenunterschied zu Paulis Gunsten dokumentierte sich in einem Chancenverhältnis von ungefähr 3:1.

Wer aber wie die betuchten Leverkusener seit Jahren mit blutleerem Mittelmaß geschlagen ist und zugleich unbeirrt glaubt, ein Team von Format zu sein, der kann sich schwerlich eingestehen, einem armen Aufsteiger in fast allen Belangen unterlegen zu sein. Weshalb Ribbeck auch behauptete, die St. Paulianer hätten wie in einem Pokalspiel gefightet, also nur deshalb nicht sang- und klanglos verloren, weil sie über sich hinausgewachsen wären. Es gehört zu den Leverkusener Grundirrtümern, Kampfgeist für eine verruchte Eigenschaft zu halten, die anzunehmen verwerflich wäre. Für das Bayer-Gemüt wäre es am erquicklichsten, Fußball wäre eine Art choreographiertes Rasenschach, bei dem altgediente und namhafte Spieler in adretten Spielzügen gegen devote Gegner zu immer gleichen, bedeutungslosen Heimsiegen kämen.

Und der sogenannte „Sir“ Ribbeck würde in seiner steifgefrorenen Distinguiertheit wahrscheinlich unter der Dauerbräune wahlweise erblassen oder erröten, wenn seine Spieler sich ähnlich gefühlsduselig wie die Hamburger dazu bekennten, in der Ersten Liga zu spielen sei geil, und es gehe ihnen einer ab.

Armes Leverkusen. Klaus Thomforde hingegen hatte zu männlicher Emotionsentladung wieder ausreichend Gelegenheit und nutzte sie gewohnt und unnachahmlich manisch. Trotz des Torhüters Rettungstaten sowie etwas Glück in den letzten Spielminuten aber war Uli Maslo später sehr niedergeschlagen. Weil er weder zu blumiger Überschätzung noch zu belanglosem Understatement neigt, zog der Trainer aus der Beobachtung, „die klar bessere Mannschaft“ gestellt zu haben, die Bewertung, daß „wir alle tief enttäuscht sind“. Offensichtlich hat man als Bayern-Jäger andere Ziele, als gegen einen werkseigenen Durchschnittsverein remis zu spielen. „Wir wollten hier drei Punkte machen“, lamentierte Maslo.

Das ist auch und besonders für kommenden Sonnabend ein lohnenswertes Ziel. Dann ist mit dem BVB aus Dortmund der Gegner einer dieser Neureichen, deren größte fußballerische Inspiration die ist, daß man Erfolg kaufen kann.

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