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Ein Maulkorb für den „Kronzeugen“?

■ Krümmel: Ministerium läßt Experten nicht vor Leukämie-Kommission aussagen

„Dem Mann wurde ein Maulkorb verpaßt.“ Anders kann sich Marion Lewandowski, Mitglied der Bürgerinitiative Leukämie in der Elbmarsch, nicht erklären, weshalb das Kieler Umweltministerium seinem Mitarbeiter Dr. Gustav Sauer strikt untersagt, vor der schleswig-holsteinischen „Expertenkommission Leukämie“ auszusagen.

Der promovierte Physiker Sauer hatte kurz vor Wiederanfahren des AKW Krümmel vor einem knappen Jahr in einem „Internen Vermerk“ an die Kieler Umweltministerin Edda Müller (SPD) vor den Gefahren des Atommeilers gewarnt: Unbemerkt ausgetretene Radioaktivität könne als Ursache für Leukämie-Erkrankungen nicht mehr ausgeschlossen werden. Ferner führte der Abteilungsleiter für Immissionsschutz und Gewerbeaufsicht „technische und juristische Aspekte“ an, die seiner Ansicht nach die Stillegung des AKW rechtfertigten (taz berichtete).

Seitdem möchte die 1992 vom Umweltministerium ins Leben gerufene Expertenkommission – sie soll den Leukämie-Ursachen auf die Spur kommen – von Sauer eine Erläuterung seiner Thesen haben, bislang erfolglos. Im April erklärte Edda Müller bei einer Umweltausschuß-Sitzung in Geesthacht, sie sehe dazu keine Veranlassung: Sauer sei nicht mehr für Reaktorsicherheit zuständig. Für Marion Lewandowski ein „unfaßbares Verhalten“: „Er ist und bleibt Fachmann. Wenn er aussagt, heißt das nicht, daß er automatisch recht hat.“

Unbegreiflich ist die ministerielle Weigerung auch dem Hamburger GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Holger Matthews. In einem Brief vom 28. August an die Kieler Energie- und Umweltministerien kann er „keinen Grund erkennen, warum Sie Herrn Dr. Sauer hindern wollen. Wenn seine Bedenken irrelevant sind, dann mag das so sein. Es wäre jedoch von großem Vorteil, wenn nicht Sie (...) diese Entscheidung intern treffen.“ Es sei „eine Sache der Vertrauensbildung“, daß sich die Expertenkommission ein eigenes Bild über Sauers Befürchtungen machen könnte.

Doch davon will man im Umweltministerium nichts hören: „Wir können ihn gar nicht beauftragen, weil seine Dienstaufgabe die Gewerbeaufsicht und nicht die Reaktorsicherheit ist“, weist Sprecher Wolfgang Götze die Zuständigkeit von sich. Wenn überhaupt, müsse das Energieministerium, wo Sauer bis Juni 1994 als Leiter der Reaktorsicherheitsabteilung tätig war, das Wort erteilen. „Da werden wir uns vor hüten“, kontert dessen Sprecher Swen Wacker: „Wir können doch nicht über jemanden verfügen, der gar nicht mehr hier arbeitet.“ Im übrigen habe man Sauers Bericht 1994 eingehend geprüft: „Dr. Sauer hat den Vermerk aus dem Gedächtnis geschrieben, weil er im September 1994 nicht mehr im Energieministerium tätig war. Deswegen konnte er die neueren Erkenntnisse des Öko-Instituts, die seine Annahmen widerlegten, natürlich nicht kennen.“ Sauers Argumente seien folglich nicht geteilt worden. Und jetzt säßen viele dem Glauben auf, mit dem kritischen Physiker den „Kronzeugen gegen das AKW Krümmel zu haben.“

Gustav Sauer ist eine umstrittene Persönlichkeit: Im Juni 1994 entließ Energieminister Claus Möller (SPD) den Chef der Reaktorsicherheit, weil der sich um einen vakanten Vorstandsposten bei den HEW beworben hatte: Erwartungsgemäß ließen die HEW den Atomausstiegsexperten abblitzen und es sich selbst nicht nehmen, Kiel über Sauers merkwürdigen Sinneswandel in Kenntnis zu setzen: Sauer wurde „wegen Befangenheit“ zur Gewerbeaufsicht versetzt und muß nun schweigen. Er selbst ließ am Freitag über sein Sekretariat mitteilen, „zu der Sache gar nichts mehr zu sagen.“

„Man kann von dem Mann halten, was man will“, findet Marion Lewandowski. Das sei allerdings kein Grund, ihn mundtot zu machen. Heike Haarhoff

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