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Farbige Lichtspiele in leeren Räumen

■ Eine Ausstellung im Altonaer Museum würdigt die zu Unrecht vergessene dänische Künstlerin Anna Ancher

Der kleine Ort Skagen an der Spitze Jütlands war im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts eine bedeutende Künstlerkolonie. Heute gelten die Bilder der Skagener Malerei mit ihrem besonderen nordischen Licht als wichtiger Teil der dänischen Nationalkultur. Anna Ancher, der bedeutendsten Frau aus diesem Kreis (1859–1935), ist jetzt in Hamburg eine große Werkschau gewidmet.

Das Altonaer Museum hatte schon 1989 Bilder der Skagener Maler ausgestellt, jetzt aktiviert es wieder seine traditionellen Beziehungen ins Königreich Dänemark (und übertrifft so seinen Beinamen „Norddeutsches Landesmuseum“ noch bei weitem). Die Ausstellung von 150 Gemälden und Graphiken bietet einen Blick in eine harmonische und sehr spezielle, doch keineswegs isolierte Kunst der Jahrhundertwende.

Im einzigen Gasthaus Skagens wohnten um 1870 Künstler aus ganz Skandinavien, und Anna, die Tochter des Wirts, war fasziniert. Bei der zweitjüngsten von sechs Kindern reifte bald der Entschluß, Künstlerin zu werden. Für die damalige Zeit ungewöhnlich, konnte sie mit Zustimmung der Eltern im Alter von 16 Jahren nach Kopenhagen gehen, um Kunst zu studieren. Aber natürlich durfte eine Frau im 19. Jahrhundert nicht an der Akademie studieren. Sie besuchte eine private Kunstschule. Mit 21 Jahren heiratet sie den Bornholmer Maler Michael Ancher und führt eine bewundernswert harmonische Künstlerehe bis zu dessen Tod 1927.

Ein Künstlerleben zwischen Familie und Boheme, der Anteilnahme am einfachen Leben im abgelegenen Fischerort an Dänemarks Nordspitze und zahlreichen Reisen in die Kunststädte Europas beginnt. In der Umsetzung der Szenen und des Lichtes ihrer Heimat entwickelt sie ihre Kunst, auf Reisen lernt sie niederländische Genre-Malerei und den französischen Impressionismus kennen. 1885 und 1889 war sie längere Zeit in Paris und lernt unter Anleitung des erfolgreichen Frühsymbolisten Pierre Puvis de Chavannes.

Sie malt Menschen bei einfachen, bäuerlichen Tätigkeiten, immer in klarer Farbigkeit und oft großen Kontrasten. Wo neoromantische Salonmalerei Leda und den Schwan mit falschem Pathos erotisch in Szene setzt, hat bei Anna Ancher das Mädchen einen Schwan auf dem Schoß, um ihn zu rupfen. Zwar bleiben die fertigen Bilder durchgängig Inhalten verpflichtet, in den Vorstudien und Ölskizzen aber finden sich moderne Leichtigkeit und Farbformen. Vom warmen Sonnenschein in der Stube der Blinden von 1885 bis zu farbigen Lichtspielen der Sonne auf der Wand leerer Innenräume um 1914/1918 schreitet die Auflösung in helle Lichtmalerei voran.

Anna Ancher und ihr Mann wurden außerhalb der Region nach ihrem Tod bald vergessen. Doch ganz zu Unrecht. Gerade Anna fand in der Kombination der naturalistischen Darstellung mit einem besonderen, lichten Kolorit zu gültigen Bildern. Ihre Rolle als Frau und Künstlerin ähnelt einer hier bekannteren Malerin der Jahrhundertwende: Paula Modersohn-Becker in Worpswede. Hajo Schiff

„Anna Ancher, 1859–1935, Malerin in Skagen“, Altonaer Museum, Katalog 45,– Mark, bis 5. November.

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