piwik no script img

Türkische Justiz gibt sich großzügig

■ Reuter-Korrespondentin und Anwältin wurden freigelassen

Istanbul (taz) – Gleich zwei Angeklagte, deren Fälle die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt hatten, standen gestern vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul: die Korrespondentin der britischen Nachrichtenagentur Reuter, Aliza Marcus, und die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin. Beide kamen frei.

Aliza Marcus war im Juli vergangenen Jahres wegen eines Artikels angeklagt worden, den sie für die Nachrichtenagentur geschrieben hatte. Die mittlerweile verbotene kurdische Tageszeitung Özgür Ülke (Freies Land) hatte den Agenturbericht unter dem Titel „Ziel der Armee sind die kurdischen Dörfer“ auf türkisch nachgedruckt – prompt stand Marcus wegen „Aufwiegelung des Volkes zu Rach- und Feindseligkeiten mit Verweis auf rassische und regionale Unterschiede“ vor Gericht, nach dem immer wieder verwandten Strafrechtsparagraph gegen Kritiker der staatlichen Kurdistanpolitik also. Es war die erste Anklageerhebung gegen eine in der Türkei akkreditierte Auslandskorrespondentin.

Die Verteidigung hatte eingebracht, daß die letztendliche Fassung der Berichte in der Zentrale der Nachrichtenagentur in London vorgenommen werde. Die Journalistin könne also nicht verantwortlich gemacht werden. Das Gericht entschied auf Freispruch, fällte die Entscheidung, nachdem auch die Staatsanwaltschaft die Anklage zurückgezogen hatte.

Auch der Prozeß gegen Eren Keskin, die in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, endete mit ihrer Freilassung. Keskin, aktives Mitglied des Menschenrechtsvereins, war wegen „separatistischer Propaganda“ zu insgesamt 30 Monaten Haft verurteilt worden. Die Veröffentlichung eines Dokumentenbandes zur kurdischen Konferenz in Paris und ein Artikel waren ihr zur Last gelegt worden.

Nachdem jüngst das türkische Parlament Änderungen im Anti- Terrorgesetz verabschiedet hatte, werden die Fälle der Verurteilten neu geprüft. Seit der Reformierung des Anti-Terrorgesetzes sind 80 sogenannte „Gesinnungstäter“ aus der Haft entlassen worden. Ömer Erzeren

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen