: Konservative Königinnen und begabte Vietnamkämpfer
■ Ein Hamburger Musikwochenende: Musik für jeden Geschmack trifft auf mangelnden Appetit bei den erwarteten Gästen
YoYo / MC Lyte / Tibro
Jetzt kommen die Frauen, heißt es offensiv in den Pressezetteln zu den Marlboro HipHop Queens. Doch eher lustlos brachten sie in der Großen Freiheit ihre Botschaft an die kleine Gruppe interessierter Frauen. Und den musikalischen Anschluß an aktuelle Tendenzen im HipHop suchte man auch vergebens: trockener Gesang, unterlegt mit fetten, unkomplexen Beats, häufig ohne verzierendes Arrangement – die Queens zelebrierten Old-School-Rap ohne wenn und aber.
Rap als Schmelztiegel, der andere Musikstile integriert? Fehlanzeige. So geriet das Potpourri der 24jährigen New Yorkerin MC Lyte zum Höhepunkt des Abends: Nach kurzem Ragga-Groove und einer verzagten Disco-Anleihe griff aber auch sie schnell auf Altbewährtes zurück. Den Queens reichte es, Respect zu fordern und das Publikum zur angekündigten Party zu animieren: Say Hooo! and wave your arms in the air. Da wird HipHop hilflos als Produkt einer ehemals historisch gewachsenen Kollektivität beschworen, die sich über die Musik nicht mehr vermitteln läßt.
Kai Mierow
Gary Thomas
In New York bewegt man sich ökonomisch und ohne viel Gewese. Bei dem Overkill-Projekt von Gary Thomas etwa geht es, anders als bei so vielen beliebig gelassenen britischen Jazz-Hoppern, gestisch wie musikalisch um Sparsamkeit der Mittel. Bei aller Sophistication der kurzen Solo-Einlagen ließ das Quartett um den Tenorsaxophonisten immer die Gesamterscheinung eines stoischen HipHop-Flows im Zentrum. Etwaige Ausflügler werden über den gleichmacherischen Beat wieder zurück auf die Straße geholt. Denn von dort sollte ihre Version von Jazz-Hop stammen – suggerierten wenigstens die unzähligen urbanen Klangfetzen aus dem Sampler.
Wenn dann etwa der Singalong eines Kinderliedes von Gewehrsalven zum Schweigen gebracht wurde, setzte ein düsterer Straßenblues ein, für den der Rapper und Stopf-Trompetenspieler Ransom die passenden Worte fand. Frauenstimmen vom Band und die merkwürdige Bühnenausstrahlung des Gary Thomas, eine Mischung aus Michael Franti und Rudolf Scharping, brach immer wieder den Bann.
Volker Marquardt
Dr. Nerve
Dr. Nerve macht kompositionsdramaturgisch so viel her wie Drohnen, die, plötzlich intelligenzbegabt, für ihre Arbeit zwischen verschiedenen Bienenstöcken hin und her hasten wollen. Doch gleichzeitig ist die siebenköpfige Gruppe wählerisch. Bei ihrem Konzert am Freitag abend im restlos unterbesuchten Westwerk gab es drei Sorten von Stücken. Die eine Sorte beinhaltete parodistische Annäherungen an Funk, Stomp, Volkslieder oder auch Polka. Im „Modn Dschäsch“ gibt es also nach wie vor die Eingebung, sich „lustig“ und „verrückt“ zu geben, weil die Welt, dieser Schizo-Beutel, und man selber, das zerdetschte Kolumbus-Ei, sich im lustigen Verrücktsein am ehesten wiederfinden. Die zweite Sorte begann mit Metal-Schmankerln, die Mitgliedern von „richtig harten“ Bands aus den zuständigen Ressorts hätten zeigen können, wie sich ihre angestammte Saiten-Hauerei unhierarchisch in der wegweisendsten Art unterbringen läßt. Die dritte Sorte schließlich fraß das Abendland. Kontrolliert bliesen, trommelten und pickten sich große Männer ins Unerhörte. Das klang frei und dabei nicht free. 30 Gäste konnten Freiheit am Rande des glücklichen Nervenzusammenbruchs sehen. Kristof Schreuf
Eisenvater / Jetzmann & L.Ski
Nee. Diese Zusammenstellung war, gelinde gesagt, unangenehm. Menschen, die uns seit Wochen ernst und bedeutungsschwanger (Jetzmann/L.Ski) bzw. martialisch-düster (Eisenvater) von Plakaten anblicken, fanden am Sonnabend im Westwerk zusammen und kumulierten gemeinsam Deutsches bis weit über alle Erträglichkeitsgrenzen hinaus. Der Entwurf zumeist ambienter Elektronik, an die sich die beiden nicht mehr ganz jungen, stadtbekannten Herren (Horst Petersen von Mastino und C.V. Liquidsky) noch mal andockten, kränkelte am Versuch, ihre phasenweise charmante Unentschlossenheit durch übertriebene Ästhetisierung und kleine Peinlichkeiten in den Wortbeiträgen zu überspielen. So wurden schöne Spannungsbögen in eine Form marschierenden Industrial-Technos mit Text übergeleitet, die auf keiner Ebene funktionierte.
Letztendlicher Auslöser für solche Zuschreibung auf der eher leeren Fläche elektronischer Musik waren natürlich Eisenvater, die ihre hinlänglich bekannte Kontur allen geheimen Hoffnungen entgegen noch weiter zuspitzen. Keinerlei Brechungen ihrer Mission in Metall. Zur Einleitung des begabten Jungensclubs verhinderter Vietnamkämpfer läuten immer noch minutenlang Glocken. Dann arbeiten Männer hart im Nebel, nur durch Stroboskopblitze kurz mit dem Volk verbunden. Das Wort zum Sonntag: Freude ist reaktionär.
Holger in't Veld
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