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Das Konzept vom heißen Eisen

■ St. Pauli: Neue Nutzung für Fabrik an der Simon-von-Utrecht-Straße Von Heike Haarhoff

Wenn der kleine Junge aus dem türkischen Lebensmittelladen an der Simon-von-Utrecht-Straße erzählen soll, warum er so gern heimlich durch das verfallene Fabrikgebäude gegenüber schleicht, zuckt er nur mit den Schultern. Scheinbar ist es ihm unbegreiflich, wieso jemand nicht einfach verstehen kann, daß der verlassene Industriekomplex und das zugemüllte Gelände drumherum ein prima Versteck mitten im dicht besiedelten St. Pauli sind. Daß früher einmal in der zweigeschossigen Backsteinfabrik die Eisengießerei W. Schenck &  Co. war, weiß er nicht.

Das soll sich, so die hoffnungsvolle Absicht Hamburger StadtplanerInnen, ändern: Die um 1880 gebaute Eisengießerei, damals Zulieferbetrieb für die Werften an der Elbe, soll als eine der „wichtigsten Zeuginnen der schiffahrtsbezogenen Industriearchitektur auf St. Pauli“ erhalten bleiben, heißt es in dem Entwurf zum Bebauungsplan St. Pauli 33, der zur Zeit im Bezirksamt Mitte ausliegt.

Für das im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Gebäude mit Gesimsen, Rundbogenfenstern und rechteckigem Schornstein sind verschiedene künftige Nutzungen als Veranstaltungszentrum, Büro- oder Gewerberaum denkbar. „Die Fabrik wird ebensowenig abgerissen wie das benachbarte Powerhouse und die Fassade der Budapester Straße 8“, gab Peter Illies, Stadtplanungschef im Bezirk Mitte, Anfang November den Beschluß erleichtert bekannt. Ausschlaggebend für die Art der Nutzung sei, bedauerte Illies, „sicherlich die Finanzierbarkeit“. Deswegen rechnet sich eine AnwohnerInnengruppe um Pastor Christian Arndt wenig Chancen aus für eine Kombination aus öffentlicher Stadtteilhalle, Beratungszentrum und „Ambulatorium“ zur ärztlichen Grundversorgung.

„Es wird alles auf eine Frage des Investors hinauslaufen“, wähnt auch Stattbau-Geschäftsführer Tobias Behrens, der von einem „Mehrgenerationen-Projekt“ weiß, das die Fabrik in Wohnungen mit Sozialstation verwandeln möchte. Das Nutzungskonzept „Heißes Eisen“ der Hamburger Architekten Burkhard Schild, Achim Aisslinger und Andreas Bracht folgt dem Appell der Hamburger Kunsthistorikerin Anne Frühauf, den „Verlust des industriegeschichtlichen Erbes dieser Stadt“ zu stoppen: Sie planen neben einer Veranstaltungs- und Konzerthalle für 400 BesucherInnen Übungs- und Proberäume, Ton- und Videostudios, Künstlerherberge oder Hotelbetrieb, Café und eventuell einen Kindergarten.

Das Konzept liegt dem Bezirk bereits in Form eines aufwendigen DIN A 3-Katalogs vor und ist, so Illies, „ziemlich interessant“. Wohnen, Arbeiten und Freizeit sollen an einem Ort stattfinden, das Fabrikgebäude weitestgehend unverändert bleiben. Vor allem aber, betonen die Architekten, müsse die Eisengießerei weniger Zentrum für Touristen als für die BewohnerInnen des Stadtteils sein.

Dem kleinen türkischen Nachbarn ist das im Moment ziemlich egal. Aber wahrscheinlich wird er neugierig, wenn 1996 die Umbauarbeiten beginnen.

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