Von Liebe und Bergen

■ Ein Aschenputtel, das alle Talsohlen längst durchschritten hat: Die Sangeskönigin Céline Dion hält morgen in Hamburg hof Von Arne Fohlin

Schimmer in den Augen, sie lächelt: Céline Dion. Sie verdreht den Kopf ein wenig, als sei sie verlegen ob des Geschenks, das ihr mit diesen Ovationen zuteil wird: Liebe und Erfolg durch ein Publikum, das sie zu seinem Idol macht.

„Love Can Move Mountains“ heißt einer der Titel, mit denen sie sich in die Seelen ihrer Fans sang. Liebe kann Berge versetzen, man muß nur dran glauben. Céline Dion berichtet davon auf der Bühne, der Text auswendig gelernt, aber glaubwürdig trotzdem: „Als ich anfing zu singen vor dem Spiegel, mich darin sah, meine Sehnsucht, aus mir herauszugehen, da hoffte ich nur, daß mein Traum in Erfüllung gehen würde.“

Freimütig gibt sie zu, daß es eine Haarbürste war, die das Mikrophon abgab. Ihre Zuhörer verstehen sofort: So wird sie eine von ihnen. Das Leben der Céline Dion klingt wie die Drehbuchvorlage eines mittelmäßigen Hollywoodfilms, Abteilung Weihnachtsgeschichten für die Provinz. Geboren am 30. März 1968 in Québec, jüngstes Kind einer kreuznormalen Familie aus dem französischsprachigen Teil Kanadas. Hoffnungen auf eine Popkarriere gab es so gut wie keine. Französisch ist nicht die Sprache, die der englischsprachige Teil Kanadas gerne hört.

Céline soll schon im zarten Alter von sechs Jahren Bob Dylans „Blowing In The Wind“ so herzzerreißend gesungen haben wie keine vor ihr – auf französisch. Bis 1988 war sie nur Fachleuten in Québec und Frankreich ein Begriff. Sie sang Dutzendware – und das mit einer Stimme, die an die der Streisand heranreicht. Am 30. April des Jahres schließlich vertrat sie die Schweiz beim Grand Prix d'Eurovision in Dublin. Ihr Ruf, nicht verlassen zu werden, überzeugte die Juroren knapp. Mit kajalverwischten Augen trug sie ihre Bitte nochmals vor: „Ne Partez Pas Sans Moi“. Vergebens, denn schon, als sie die Siegestrophäe heim nach Montreal trug, war sie vergessen. Einige für 1989 geplante Tourneeauftritte in der Schweiz mußten storniert werden: Das Publikum zeigte sich wenig interessiert.

Aber auch diese Enttäuschungen waren nur gut für ihren späteren Aufstieg. Alle Aschenputtels der Welt mußten irgendwann Talsohlen durchschreiten, Céline Dion konnte da keine Ausnahme erwarten. 1992 schließlich fragten sie die Disney-Studios, ob sie zusammen mit Peabo Bryson das Titellied für den Film Die Schöne und das Biest singen würde. Dion wollte, obwohl „mir das Englische noch nicht so geläufig war, für mich ist das ja eine Fremdsprache“. Der Rest ist bekannt: Das Lied erwies sich als pures Gold für die Texter, Komponisten – und Céline Dion.

Grammies, goldene und platine Schallplatten: Von Stund an war die Frankokanadierin eine, an der niemand vorbeikann. Auch äußerlich spiegelt sich ihre Karriere wider: Sie, die noch vor sieben Jahren aussah wie eine aus dem Vorort, die es versehentlich aufs Siegertreppchen verschlug, ist nun eine schöne Frau – eben aber auch ihrer knubbeligen Nase und den kleineren Unebenheiten wegen, die sie so erkennbar unterscheiden von der Modelkultur der Schiffers & Co.

Möglich, daß es das ist, was sie besonders macht: Mariah Carey sieht gegen sie aus wie aus der Retorte geschaffen, die Houston zu kapriziös und alle anderen zu niedlich. Dion, das ist die Frau, die mal ein Kumpel war und ihre Wurzeln nicht vergessen hat, eine, die mit Haarbürsten und unverrückbaren Träumen zu tun hat. Ein Showleben mit Liedern, die ins Herz tropfen, sacht, süß und bitter zugleich – mit nichts als dem Wunsch darin, der Liebe zu vertrauen.

„Think Twice“, die bestverkaufte Frühlingsschnulze dieses Jahres, auch „The Power Of Love“, das ehedem Jennifer Rush gesungen hat und nun durch die Dion überhaupt erst erkennbar wird als Liebesschrei, auch der französische Hit „Pour Que Tu M'Aimes Encore“ – all dies wird dabeisein, wenn Céline Dion morgen im CCH auftritt. Was sie bietet, ist eine Show, die bisweilen allzusehr darauf setzt zu gefallen und die auch nicht darauf verzichtet, dem Publikum mitzuteilen, wie schön es doch wäre, zusammen jeden Abend zu teilen – das wirkt dann doch zu bieder.

Vielleicht liegt es aber auch daran, daß sie noch nicht begriffen hat, daß sie eine Königin geworden ist, eine Regentin der liebeshungrigen Mädchen und Jungen der Vorstädte: Denn Königinnen dienen sich beim Volk nicht an, sie sind bestenfalls gütig und gerecht. „Ich habe ja noch einen langen Weg vor mir. Es ist immer noch wie im Märchen“, sagt die junge Frau Céline, die noch viel singen muß, ehe man nur noch von der Dion spricht.

Morgen, 20 Uhr, CCH.