Überflüssiger Luxus?

■ Viele ArbeitgeberInnen wollen ihren MitarbeiterInnen den Bildungsurlaub vermiesen / Rechtsanspruch auf fünf Tage pro Jahr Von Patricia Faller

Bildungsurlaub auf der Insel Rügen hatte die Angestellte einer Zeitarbeitsfirma beantragt. Das Thema: „Die politische Entwicklung in Ostdeutschland“. Zum Seminar bei „Arbeit und Leben“, der Bildungseinrichtung des DGB und der VHS, hatte sie sich bereits angemeldet. Gereist ist die Frau nicht. Das bekäme ihrer beruflichen Zukunft nicht gut, hatte ihr Vorgesetzter nur zu deutlich zu verstehen gegeben.

„Solche Fälle häufen sich, sind aber noch nicht statistisch relevant“, ist die Erfahrung der Bildungsreferentin von „Arbeit und Leben“, Barbara Schrader. Der Geschäftsführer des DAG-Bildungswerks, Thomas Rapp, befürchtet aber eine hohe Dunkelziffer. Zum Thema: wie vermiese ich meinen Untergebenen den Bildungsurlaub, kann auch er ein Beispiel beitragen: Den MitarbeiterInnen wird vorgehalten, sie gefährdeten durch ihren Bildungsurlaub den Unternehmensstandort.

Laut Hamburgischem Bildungsurlaubsgesetz hat jedeR ArbeitnehmerIn, jedeR Azubi und jedeR Arbeitslose Anspruch auf fünf Tage bezahlten Urlaub pro Jahr für politische und berufliche Bildung. Mit rund 1,8 Millionen Mark fördert Hamburg jährlich den politischen Bildungsurlaub von Alleinerziehenden, Behinderten, Arbeitslosen, ausländischen MitbürgerInnen, AussiedlerInnen, Asylberechtigten und bildungsbenachteiligten ArbeitnehmerInnen wie SchichtarbeiterInnen oder ArbeitnehmerInnen ohne Berufsabschluß. Doch das beste Gesetz nützt wenig, wenn die Personaldecke so dünn ist, daß ArbeitnehmerInnen Skrupel haben, ihr Recht auch in Anspruch zu nehmen – der KollegInnen wegen.

„Wer ihn beantragt, bekommt ihn auch“, beantwortet Martina Meenke, Betriebsrätin der HEW, kategorisch die Frage, wie sie es mit dem Bildungsurlaub halten. Und der Abteilungsleiter Mitarbeiterentwicklung der Lebensversicherungs AG „Deutscher Ring“, Manfred Kröger, rühmt sich: „Wir haben seit 1974 keinen Antrag abgelehnt.“ Nur wenn es dringende Aufträge gebe, würden die MitarbeiterInnen gebeten, ihren Bildungsurlaub zu verschieben, berichtet die Leiterin der Abteilung Fortbildung und kaufmännische Ausbildung bei Blohm + Voss, Reinhild Lichius.

„Grundsätzlich ist Qualifizierung und Weiterbildung ja sinnvoll“, erklärt der Personalreferent von Beiersdorf, Hans Meyer. Bei der einen oder anderen Maßnahme frage er sich aber schon, welchen Nutzen das Unternehmen davon habe: wenn beispielsweise ein Mitarbeiter Griechisch lerne. Aber das sei seine ganz private Meinung.

Kaum ein privates oder öffentliches Unternehmen gibt offen zu, daß es Bildungsurlaub als überflüssigen Luxus betrachtet. Das Pöbeln überläßt man Arbeitgeberpräsidenten und konservativen Politikern. Gerne werden Vorurteile geschürt: Sprachreisen werden ja nur am Strand verbracht; Kurse wie „Töpfern für den Frieden in der Toskana“ werden als Parade-Mißbrauchs-Beispiele zitiert.

In Hamburg werden im Gegensatz zu anderen Bundesländern aber keine allgemeinen Bildungskurse als Bildungsurlaub anerkannt, sondern nur jene, die der politischen oder beruflichen Bildung dienen. Darin eingeschlossen sind die gängigen Fremdsprachen. Sämtliche Angebote werden vom Amt für Berufs- und Weiterbildung und der Landeszentrale für politische Bildung geprüft – Kriterien sind unter anderem Lernziele, Arbeitsprogramm und qualifizierte Ausbilder. Von den 2825 anerkannten Angeboten waren 1994 rund 75 Prozent berufliche Weiterbildungsseminare.

Das Gerede von wegen Bildungsurlaub erhöhe die Lohnnebenkosten oder sei Erholungsurlaub, will Klaus Schepe vom Amt für Berufs- und Weiterbildung nicht gelten lassen. „Die Arbeitgeber profitieren doch auch von Kursen wie Datenverarbeitung oder Streßbewältigung.“ Selbst über politische Bildung, die ArbeitnehmerInnen zu mündigen BürgerInnen erziehen soll, urteilt das Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber haben auch davon einen Nutzen. Auch wenn ihnen dies nur schwer einsichtig erscheint.