: Vorsicht, Kamera
■ Hauptbahnhof: Polizei-Spezialtruppe nutzte die Videoanlage der Bahn heimlich zur flächendeckenden Überwachung Von Kai von Appen
Bei der Umsetzung des „Drogenbekämpfungskonzeptes St. Georg“ von Innensenator Hartmuth Wrocklage haben FahnderInnen des neuen Spezialtrupps „EG 957“ offenbar ohne Kenntnis ihrer Vorgesetzten privatwirtschaftliche High-Tech-Hilfe in Anspruch genommen. Entsprechende Informationen sind der taz aus Bundesgrenzschutz-Kreisen (BGS) – der am Hauptbahnhof die Aufgaben der Bahnpolizei wahrnimmt – zugespielt worden. Ein Mitarbeiter aus dem Polizeipräsidium bestätigt inoffiziell diese Angaben: „Da haben wieder einige ihr eigenes Ding gedreht.“
Bei der „EG 957“ handelt es sich um MilieufahnderInnen, die sich freiwillig zu dieser Dienststelle gemeldet haben und zum Teil mit under-cover-Methoden arbeiten. Zwei Wochen lang nutzte die erst im Oktober aufgestellte Spezialeinheit die moderne Video-Überwachungsanlage der „Betreibergesellschaft Hamburger Hauptbahnhof“(BHH). Die BHH hatte 1993 diese Video-Totalanlage installiert: 21 um 180 Grad schwenkbare Zoom-Videokameras, mit der die Wandelhalle, das Fußgängertunnelsystem, der Steindamm und der Zentralomnibusbahnhof sowie der Bahnhofsvorplatz überwacht werden. 17 BGS-Videoaugen und acht HHA-Überwachungskameras können jederzeit zugeschaltet werden und liefern die Bilder auf 24 Bildschirme des „Melde- und Koordinationszentrums“ der BHH im Mönckebergtunnel.
Sinn dieser Anlage – so die offizielle BHH-Version – war es, das „subjektive Sicherheitsgefühl“ zu steigern und den neuen Bahnhof „sauber“ zu halten. Bei Problemen oder der Erspähung von Unrat sollten sofort Wachdienst oder Putzkolonnen losgeschickt werden können. Eine Nutzung für polizeiliche Zwecke war seinerzeit vom Chef der Polizeidirektion Mitte, Richard Peters, als „rechtlich nicht zulässig“ ausgeschlossen worden. Ausnahmen: Sofortfahndungen oder Beweissicherung bei Mord, Raubüberfall oder Vergewaltigung.
Doch davon möchte heute niemand mehr etwas wissen. BHH-Chef Christan Treder gibt zu, daß „natürlich“ die Anlage von der Polizei im Rahmen des „Konzeptes St. Georg“ genutzt worden sei, wenn das „LKA 254“ (Drogendezernat beim Landeskriminalamt) offiziell für „Observationen oder Schwerpunkteinsätze“ um Hilfe gebeten habe. Treder: „Unsere Leute werden dann des Raumes verwiesen.“
Beides ist bei der Operation der EG 957 aber nicht geschehen. Der taz-Informant: „Die hielten sich teilweise rund um die Uhr in der Anlage auf und observierten das gesamte Treiben am Hauptbahnhof.“ Dabei sollen gelegentlich auch BHH-Leute anwesend gewesen sein. Mit einem eigens installierten Polizeifunkgerät seien die Kollegen koordiniert worden, die Jagd auf mutmaßliche Dealer machten oder gegen Junkies Platzverweise oder Gebietsverbote ausgesprochen.
Polizeisprecher Hartmut Kapp hält die Nutzung der BHH-Anlage durch Drogenfahnder grundsätzlich für polizeirechtlich zulässig: „Wenn dort qualifizierter Drogenhandel betrieben wird, fällt das in den Bereich der Organisierten Kriminalität.“ Allerdings, so Kapp, hätte nur das „LKA 254“ im Juli einmal zehn Tage lang mit den Kameras einen speziellen, anders unzugänglichen Dealertreff observiert. Kapp: „Die Maßnahme ist dann abgebrochen worden, weil die Dealer sich darauf eingestellt haben.“
Trotz des Verdachts der „pflichtwidrigen Nutzung“ sind Hamburgs Datenschützer die Hände gefesselt. Nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) – gegen das seit drei Jahren eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist – sind die Fahnder befugt, solche Anlagen zu nutzen. „Es müssen allerdings gewisse Voraussetzungen vorliegen“, so Datenschützer Ulrich Werner. Entweder die Verfolgung oder Verhinderung einer akuten Straftat, „oder zur Gefahrenabwehr an Gefahrenorten“, so Werner. Viele Richter würden nun mal eine Ansammlung von Junkies als „Gefahrenort“ bewerten. Werner: „Wenn die Polizei die Anlage nur nutzt, um zu gucken, und keine Aufzeichnungen anfertigt, ist das, als wenn sie aus dem Fenster des Reviers Kirchenallee schauen.“
Nach taz-Infos ist es aber nicht ausgeschlossen, daß doch Aufzeichnungen gemacht wurden. Der Informant: „Zumindest nachts waren die Aufnahmegeräte ständig in Betrieb“.
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