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Die Ehrung der guten Kinder von Dürwiß

Über 800 Schulen in Deutschland haben sich um das Signet „Schule ohne Rassismus“ beworben. Heute wird der Preis der Aktion COURAGE-SOS zum fünften Mal verliehen  ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – Es wird ein großes Ereignis werden, mit laufenden Kameras, Fotografen, Mikrophonen. Eine Tafel wird heute an der Eingangstüre der Gesamthauptschule Eschweiler-Dürwiß bei Aachen angebracht: Ein weißes und ein schwarzes Kind sitzen an einem Tisch, darüber steht der Titel: „Schule ohne Rassismus“. Der Verlauf des Festes ist präzis geplant. In der Aula wird der schwarze Musical-Star Martin Moss aus New York die Laudatio halten, und der Schulchor stimmt ein Lied an: „Wir wünschen, daß jedes Kind auf der Welt lachen kann. Wir singen diesen Wunsch, bis er sich erfüllt.“

Fast alle 800 Schüler und Schülerinnen und ihre Lehrer und Lehrerinnen haben sich per Unterschrift zum Antirassismus verpflichtet. Sie wollen sich nicht mehr diskriminierend äußern.

Der Titel „Schule ohne Rassismus“ wird heute zum fünften Mal vergeben von der Organisation: „Aktion COURAGE-SOS Rassismus“. Vor sieben Jahren wurde die Kampagne in Belgien gegründet, nachdem die dortige rechtsradikale Partei Vlaams Blok große Stimmengewinne hatte. Nahezu 200.000 Schüler und Schülerinnen in den Beneluxländern, Frankreich und Österreich haben sich der Aktion bereits angeschlossen.

Über 800 Schulen bemühen sich derzeit in Deutschland um den Titel. Die Auszeichnung ist an Bedingungen geknüpft. Die Jugendlichen müssen das Projekt initiieren und mindestens 70 Prozent der Schulschaft per Unterschrift dafür gewinnen. Das antirassistische Bekenntnis muß jährlich erneuert werden. Zu Beginn reicht es, wenn zwei oder drei Aktionen gegen Rassismus geplant sind, später, so die COURAGE-Empfehlung, soll das Thema in allen Unterrichtsfächern behandelt werden.

Für Schulleiter Kurt Vermaaten von der Eschweiler Hauptschule ist die Auszeichnung „das Sahnehäubchen“ auf ein altes pädagogisches Konzept.

Seine Schüler und Schülerinnen zogen bereits vor drei Jahren auf die Straße und demonstrierten gegen Fremdenfeindlichkeit. Was Diskriminierung heißt, hörten sie dort allemal. „Geht lernen, die Ausländer nehmen uns eh nur die Arbeit weg“, und deftigere Vorurteile mußten sie in Diskussionen mit Passanten parieren. „Mittlerweile haben sie das Argumentieren gelernt“, sagt Vermaaten. Viele erleben immer wieder, wie es ist, ausgegrenzt zu werden. Jeder dritte Schüler trägt einen anderen als den deutschen Paß in der Tasche. Gleichwohl gesteht Vermaaten ein, daß man das Thema Rassismus auch überstrapazieren kann. „Man darf nicht penetrant werden“, sagt er. Dennoch hat die Schule einen Weg gefunden, das Thema allgegenwärtig im Unterricht zu behandeln. Seine Zöglinge finanzieren 60 Kindern in Boliven eine Schulausbildung. Das Thema Ausbeutung von Naturressourcen wird im Unterricht ganz praktisch behandelt. Die Schüler konzipierten für ihre Partnerschule einen Solarofen, ließen ihn in Eschweiler bauen und schickten ihn aus der Eifel nach Bolivien.

Daß der Titel „Schule ohne Rassismus“ leicht als Ehrenbezeichnung für den politisch korrekten Tugendwächter verstanden werden kann, weiß auch der Koordinator der COURAGE-Kampagne, Ralf-Erik Posselt. Aber erstens handle es sich bei dem Namen um eine wörtliche Übersetzung aus dem Französischen, und zweitens habe man Schwierigkeiten mit dem Begriff „gegen Rassismus“ gehabt. „Das klingt zu sehr nach Ausgrenzung von Schülern, die noch nicht soweit sind.“ Und schließlich beschriebe der Begriff keine Ideologie oder ein Ziel, sondern sei vielmehr eine permanente Selbstverpflichtung.

Seit drei Monten läuft die Kampagne. Daß sie so kräftige Resonaz findet, macht Posselt „noch immer ganz fertig“. Wenn es so weitergeht, wird er im Frühjahr wohl täglich das begehrte Emblem an eine Schule heften. Rein theoretisch müßte es dann bald vorbei sein mit den ausländerfeindlichen Aktionen von Jugendlichen im Schüleralter.

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